Beuteschema: Thriller (German Edition)
zu beben anfing und der Boden nachgab, und Claire rannte um ihr Leben, während ringsum die Wände einstürzten.
Sie wachte schweißgebadet auf. Die Laken waren durchgeschwitzt und um ihren Körper verdreht, als sie sich aufsetzte. Es war dunkel im Zimmer, aber sie sah Sonnenlicht durch einen Schlitz in den geschlossenen Vorhängen. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand– dieser zu weich gepolsterte Sessel und die Kommode waren ihr unbekannt–, bis ihr einfiel, dass sie sich mit Nick im B&B von dessen Freund versteckte.
Sie sah auf den Radiowecker. Es war 15.08 Uhr. Obwohl sie seit dem Morgengrauen geschlafen hatte, fühlte sie sich immer noch erschöpft. Es war die Art von Erschöpfung, gegen die auch noch so viel Schlaf nicht hilft, diese Müdigkeit bis in die Knochen, die von Angst und Beklemmung kommt, und zum ersten Mal stellte Claire sie nicht infrage. Sie dachte nicht über eine chemische Erklärung für ihre Empfindung nach. Sie kannte den Grund: Sie trauerte. Sie brach in Tränen aus und ließ sich überwältigen von ihrem Kummer über Amy und Ian, zwei Menschen, die sie geliebt und verloren hatte.
Nach einigen Minuten schien sich der Aufruhr in ihrem Innern zu legen. Ihr Ausbruch hatte ein wenig von dem Schmerz freigesetzt, den sie seit Jahrzehnten in sich trug.
Claire wischte sich über das Gesicht, dann zog sie Bluse und Jeans an. Als sie sich umdrehte, erhaschte sie einen Blick auf ihr Spiegelbild. In dem Sonnenstrahl, der durch den Schlitz im Vorhang fiel, leuchtete ihr Gesicht wie hinter einem Schleier, wie ein Phantom. Andere Phantomgesichter erschienen im Spiegel. Erst Amy, dann Ian und Detective Maggie Stolls, gefolgt von Tammy Sorenson und den anderen toten Frauen. Und dann Todd Quimby. Sie flehten Claire mit den Augen an, ihnen dabei zu helfen, Trost zu finden, ihre für alle Ewigkeit eingeschlossenen Seelen zu befreien.
Sie wusste, was sie zu tun hatte.
Sie schaltete das Licht ein, und die Gesichter verschwanden. Dann schnappte sie sich ihre Schuhe und den Rest ihrer Sachen und lief aus dem Zimmer.
Claire fand Nick auf der Veranda, wo er in der Sonne saß und eine Tasse Kaffee trank. Er hatte gerade ausgiebig geduscht, sein Haar war nass und gekämmt, und er war frisch rasiert. Die Nachmittagssonne ließ sein scharf geschnittenes Gesicht wie gemeißelt erscheinen.
Er kann ihnen helfen, dachte Claire. Er kann mir helfen, diesen Albtraum zu beenden.
» Wie haben Sie geschlafen?«, fragte Nick, obwohl er die Antwort kannte.
» Wie ein Baby«, antwortete sie, ohne zu lächeln.
» Sind Sie bereit?«, fragte Nick und zog ihr einen Stuhl heraus, damit sie neben ihm sitzen konnte.
» Besser wird’s nicht werden«, sagte sie und nahm Platz.
Sie sahen einander einen langen Moment an. Er hat schöne Augen, dachte sie. Man käme nie darauf, dass er blind wird.
» Wir brechen um neun auf«, sagte Nick. » Nach Sonnenuntergang.«
» Zu Biopharix. Auf unsere › Exkursion‹«, sagte Claire.
» Was hier auch vorgeht, was hinter alldem steckt, die Antworten finden sich in diesem Gebäude. In Sedgwicks Büro.«
Claire sah ihn an. » Und Sie glauben, die lassen zu, dass wir uns einfach dort umsehen?«
» Ich habe nicht vor, sie um Erlaubnis zu fragen.« Nick zögerte. » Sie müssen nicht mitkommen«, sagte er und meinte es aufrichtig.
» Natürlich komme ich mit«, sagte Claire. » Sie sehen ja nichts.«
Aber ihr Tonfall verriet ihm, dass sie so oder so mitgekommen wäre.
Dann saßen sie schweigend da und schauten auf die Felder hinaus, die mit orangefarbenen, purpurnen und roten Wildblumen in voller Blüte gesprenkelt waren.
Es waren nur etwas mehr als zehn Kilometer Fahrt von Beacon in Richtung Süden nach Cold Spring, die Claire in dem alten Honda von Donnellys Sohn in einer Viertelstunde zurücklegte. Als sie durch die Hauptstraße mit ihren geschlossenen Läden fuhren, bemerkten sie und Nick, dass der Streifenwagen des Orts vor der Polizeistation stand. Claire hoffte, er würde während ihrer gesamten Exkursion dort stehen, denn sie wusste, es konnte um Leben und Tod gehen.
Sie überquerten die Bahngleise und fuhren die West Street entlang, bevor sie das Schild sahen: WILLKOMMEN BEI BIOPHARIX . WO IHRE GESUNDHEIT IMMER ZÄHLT . Sie setzte den Blinker, um in die von Bäumen gesäumte Einfahrt abzubiegen, aber Nick griff ihr ins Lenkrad und zwang sie, auf der Straße zu bleiben.
» Was tun Sie da?«, fragte Claire.
» Wir können nicht einfach am Haupteingang vorfahren und den
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