Bevor der Tod euch scheidet (German Edition)
antwortete.
Als sie so dastand, vor sich eine offene Tür, hinter der Dunkelheit lauerte, verspürte sie einen Augenblick lang Verzweiflung. Was für ein Spiel wurde hier mit ihr getrieben?
Es war ihr zuwider, ihre Waffe aus der Hand zu legen, aber ihr blieb keine andere Wahl als sie in den Rockbund zu schieben, damit sie die Streichhölzer und eine Kerze aus der Handtasche holen konnte. Schon vor Monaten hatte sie angefangen, eine große Handtasche zu benutzen, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein.
Sie zündete die Kerze an und konnte in deren Schein erkennen, dass man durch die Tür in einen Raum gelangte, in dem ein Schreibtisch, ein Stuhl und mehrere Aktenschränke standen. Francesca trat ein und entdeckte zu ihrer Rechten eine weitere Tür, hinter der sich jedoch nur eine fensterlose Toilette befand.
Auf dem Schreibtisch lag ein Berg von Belegen und Notizzetteln. Ein Blick darauf ergab, dass sie alle hingekritzelt worden waren. Weder ihr Name noch der von Hart fiel ihr irgendwo in dem Gewirr auf.
In einer Schale lag ein Stapel Visitenkarten.
Galerie Moore – Schöne Künste und Kommissionsstücke
Eigentümer: Daniel Moore
No. 69 Waverly Place, New York City
Hastig durchsuchte sie die Schreibtischschubladen, doch es war einfach zu viel Papierkram, den sie in der kurzen Zeit nicht durchsehen konnte, die ihr zur Verfügung stand. Die Zeit! Sie erstarrte und griff nach ihrer Handtasche, die sie auf den Tisch gelegt hatte. Es war fast halb drei.
Ein Pochen ging durch ihre Schläfen. Ihr blieb keine Zeit, sich hier länger umzusehen. Bragg würde bei der Hochzeit anwesend sein, dann konnte sie ihm noch vor der Zeremonie alles berichten und ihn herschicken, damit er das Gemälde abholte. Aber wie konnte sie das Porträt jetzt einfach hier zurücklassen?
Und was wollte der Dieb wirklich von ihr?
Mit den Fingerspitzen löschte sie die Flamme ihrer Kerze und ließ sie auf dem Tisch stehen. Immerhin hatte sie noch genügend Kerzen in der Tasche. Sie zog ihre Pistole aus dem Rockbund, dann verließ sie das kleine unbeleuchtete Büro.
Plötzlich hörte sie ein leises Kratzen aus dem vorderen Teil der Galerie. Sie stürmte dorthin und rief: „Wer ist da?“
Niemand antwortete, woraufhin sie frustriert die Waffe zurück in den Rockbund schob. Dann fasste sie mit beiden Händen nach dem Ölgemälde, aber zu ihrem Entsetzen löste es sich nicht von der Wand.
Jemand hatte es an die Wand genagelt!
Wieder zerrte sie an dem Porträt, doch es bewegte sich kein bisschen.
Im gleichen Moment hörte sie, wie eine Tür zugesperrt wurde. Hastig drehte sie sich zum Eingang um; sie rechnete damit, dass dort jemand stand, der sie frech angrinste. Stattdessen jedoch bemerkte sie eine Bewegung vor der Galerie, als würde jemand die Stufen hinaufrennen.
Sie schrie auf, eilte zur Tür, fasste den Knauf … und musste feststellen, dass die Tür von außen abgeschlossen worden war.
Ein Wutschrei kam ihr über die Lippen, und während sie dastand, beide Hände um den Türknauf gelegt, überkam sie allmählich das Entsetzen.
Man hatte sie hier eingeschlossen.
Wie sollte sie von hier wegkommen? Und wie sollte sie es zu ihrer eigenen Hochzeit schaffen?
Calder Hart stand am Fenster des Salons im ersten Stock der Presbyterianerkirche und fühlte sich sehr wohl. Seinen Smoking trug er bereits, lediglich die Fliege fehlte noch. Die Fifth Avenue war auffallend menschenleer, da jeder, der etwas auf sich hielt, die Stadt während des Sommers verließ. Ausgenommen natürlich jene alleroberste Schicht der New Yorker Gesellschaft, bei der der Name Julia Van Wyck Cahill Ehrfurcht oder Angst auslöste. Auf der anderen Straßenseite hatten die Bauarbeiten für das geplante St. Regis Hotel begonnen, doch selbst der Baukran konnte die Aussicht nicht trüben.
So, wie die Straße sich ihm in diesem Moment präsentierte, hatte sie etwas wundervoll Anziehendes an sich, so fantastisch ausgestorben. Lediglich eine einzelne Kutsche und zwei schwarze Hansom Cabs waren auf dem Pflaster unterwegs, ansonsten gab es stattliche Herrenhäuser und elegante Stadthäuser zu sehen, exklusive Geschäfte und Clubs säumten die Straße. Vor der Kirche parkten nur drei Kutschen, da es noch viel zu früh war, als dass die ersten Gäste eintreffen könnten.
Er sah zur Standuhr in einer Ecke des Ankleidezimmers. Ein paar Minuten nach drei. Sein Blick kehrte zurück zur Straße. Nein, er hielt nicht Ausschau nach seiner Braut. Auch wenn er keineswegs
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