Bevor der Tod euch scheidet (German Edition)
abergläubisch war, wollte er sie dennoch lieber nicht vor der Zeremonie zu Gesicht bekommen. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Zweifellos war Francesca längst ebenfalls in der Kirche, und ihre Schwester und ihre Mutter waren damit beschäftigt, letzte Hand an ihr Äußeres zu legen, als ob es überhaupt möglich gewesen wäre, sie noch hübscher aussehen zu lassen.
Hätte jemand ihm vor ein paar Monaten gesagt, dass er heute vor dem Altar stehen würde, um zu heiraten, dann hätte er wahrscheinlich gelacht und den anderen für einen völligen Trottel gehalten.
Und trotzdem stand er jetzt hier und war im Begriff, genau das zu tun. Sein Herz raste, und er verspürte eine ganz ungewohnte Nervosität.
„Hey, Calder!“, rief Rourke Bragg amüsiert. „Planst du bereits deine Fluchtroute, um in letzter Sekunde doch noch entkommen zu können?“
Er schaute einen Moment länger auf die praktisch verlassene Straße. Zwei Streifenpolizisten mit Schlagstöcken in der Hand standen an der Straßenecke und unterhielten sich. Vermutlich würden sie schon bald vollauf damit beschäftigt sein, den Verkehr zu regeln.
Langsam drehte er sich zu dem jungen Mann um, der soeben gesprochen hatte. Rourke Bragg war seinem Vater Rathe wie aus dem Gesicht geschnitten. Er war groß und breitschultrig, hatte goldblondes Haar, bernsteinfarbene Augen und einen sonnengebräunten, fast dunklen Teint. Zudem hatte er das gleiche strahlende, optimistische Gemüt wie Rathe. Hart betrachtete ihn als Verwandten, wenn nicht sogar als eine Art Bruder. Außerdem konnte er Rourke gut leiden. Er absolvierte ein Medizinstudium und ging ganz in seinem Beruf auf. Und er hatte nicht eine einzige scheinheilige Faser am Leib.
Apropos: Rick Bragg war bislang nicht eingetroffen. Gestern Abend war er nur eine halbe Stunde geblieben, als sie in einem privaten Raum im Sherry-Netherland Hotel Calder Harts letzten Tag als Junggeselle gefeiert hatten. Hart konnte sich ein gehässiges Lächeln nicht verkneifen. Es gelang ihm nur selten, seinen perfekten Bruder in irgendeiner Weise zu übertrumpfen, doch genau das war diesmal geschehen.
Niemals würde er vergessen, dass Rick vor Monaten zwar in seine Braut verliebt gewesen war, sie heute jedoch ihn heiraten würde.
Die Befriedigung, die ihm diese Tatsache verschaffte, hatte etwas Wildes, Ursprüngliches an sich.
„Er muss Blut und Wasser schwitzen“, meinte Rourkes Bruder Gregory, der mit seinen zwanzig Jahren vier Jahre jünger war als Rourke. Gegenwärtig arbeitete er in San Francisco für seinen Onkel Brett D'Archand, einen Schiffsmagnaten. Als er von der anstehenden Hochzeit erfahren hatte, war er sofort mit dem nächsten Zug nach New York gekommen. Hart hatte Rourke, Gregory und deren jüngeren Bruder Hugh sowie den jungen Nick D'Archand gebeten, an seiner Seite zu stehen. Gregory grinste spöttisch. „Mein Gott, Hart, heute Abend ist alles vorbei! Keine wilden Affären mehr, keine ausgelassenen Orgien, nur noch Fesseln und Ketten. Du musst wirklich den Verstand verloren haben!“
Hart reagierte amüsiert. „Wenn du mich damit fragen willst, ob ich irgendwelche Zweifel habe, muss ich dich enttäuschen.“
Alle im Salon sahen sich an, nur der Vater der Braut fehlte in ihrer Runde. Andrew Cahill war unten und ging im Foyer auf und ab. Hart wusste, dass er sich dort aufhielt, um jeden ihrer Gäste persönlich zu begrüßen.
„Das muss wohl Liebe sein“, bemerkte Hugh Bragg, der zwei Tage zuvor aus Texas hergekommen war, amüsiert.
Hart war daran gewöhnt, jene Bemerkungen zu ignorieren, die er einfach nicht hören wollte, also redete er ungerührt weiter: „Ich werde die interessanteste Frau der ganzen Welt heiraten. Muss ich noch mehr dazu sagen?“
Francescas Bruder Evan grinste. „Sogar die Mächtigsten stürzen irgendwann“, murmelte er.
„Wie ich schon sagte“, rief Hugh lachend und griff nach einem Glas Champagner. Allerdings war er erst fünfzehn, sodass sein Vater ihm das Glas gleich wieder aus der Hand nahm und ihm stattdessen ein Root Beer anbot.
Hart meinte das genau so, wie er es sagte. Er hatte wirklich nicht den geringsten Zweifel. Nur wenige Tage nach der ersten Begegnung war ihm deutlich geworden, dass Francesca die außergewöhnlichste Frau war, gleichermaßen mutig und schön, von überlegenem Intellekt und ehrgeiziger als die meisten Männer, die er kannte. Sie verkörperte alles Gute, Reine und Ehrliche auf der Welt, und er war in Sorge um sie, weil sie anderen Menschen
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