Bevor der Tod euch scheidet (German Edition)
Cahill! Ich habe mit großem Interesse in den Zeitungen über Ihre sensationelle Detektivarbeit gelesen. Ich glaube, Sie sind berühmter als der Commissioner – und viel hübscher anzusehen.“ Dabei zwinkerte er ihr zu.
„Ich will nicht hoffen, dass ich berühmter bin als er, aber es macht mir nichts aus, ein wenig attraktiver zu sein“, gab sie lächelnd zurück. Sie war Richard Coakley noch nie zuvor begegnet; er schien aber ein sehr angenehmer, gut gelaunter Zeitgenosse zu sein. Damit stand sein Charakter in krassem Gegensatz zu seiner Aufgabe, die verschiedenen Einrichtungen auf der Insel zu leiten.
Sie folgten ihm durch einen langen, muffigen Korridor, der Francesca schaudern ließ. Die Dielenbretter waren gerissen und dreckig, und durch die Fenster war kaum etwas zu erkennen, so verschmutzt waren sie. Die Grünanlagen wurden gepflegt, und die Empfangshalle wurde regelmäßig gewischt, doch das war anscheinend schon alles, denn der Flur war so vernachlässigt, dass sogar ein eigenartiger Geruch in der Luft hing.
An der Decke hingen große Schilder, die darauf hinwiesen, dass sich die Krankenstation rechts von ihnen befand. „Ich habe einen Blick in Mrs Randalls Akte geworfen“, berichtete Coakley. „Sie beträgt sich sehr gut. Sie ist fürs Kochen eingeteilt, was sie ohne irgendwelche Schwierigkeiten erledigt. Überhaupt sorgt sie in keiner Weise für Probleme. Sie beschwert sich nie und bleibt meistens für sich. Ich kann sie mit Fug und Recht als vorbildliche Insassin bezeichnen.“
„Es freut mich, das zu hören“, sagte Bragg.
„Sie wurde doch zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, nicht wahr?“, fragte Francesca, als vor ihnen erste Hinweisschilder zum Arbeitshaus von Blackwell Island auftauchten.
„Richtig. Sie wird am 22. Oktober entlassen.“ Coakley drückte die Stahltür auf. „Die Schlafsäle sind oben, und wie Sie sehen können, haben wir über drei Dutzend Werkräume.“
Sie gingen weiter durch den düsteren Korridor. Die einzigen Geräusche, die sie hören konnten, waren das Summen und Surren von Maschinen, die in den Werkräumen betrieben wurden. Francesca schaute in einen der Säle und sah mehrere Dutzend Frauen, die an Nähmaschinen saßen und in ihre Arbeit vertieft waren. Jede von ihnen trug graue Sträflingskleidung, niemand sprach ein Wort.
„Hier entlang“, forderte Coakley sie gut gelaunt auf und öffnete eine weitere Tür, hinter der sich eine Großküche befand. Das Scheppern und Klimpern der Töpfe und Pfannen war ohrenbetäubend. Über dreißig Leute hantierten an mindestens einem Dutzend Herde und noch einmal halb so vielen Backöfen. „Diese Küche versorgt jeden auf der Insel mit Essen, ausgenommen die Häftlinge im Zellentrakt. Für die gibt es da separate Küchen“, erklärte er laut, um den Lärm zu übertönen.
Francesca sah eine Maus unter einen Tisch laufen. Immer noch besser als eine Küchenschabe, dachte sie, doch schon im nächsten Moment beobachtete sie, wie eines dieser Insekten in ein Loch in der Wand verschwand.
Ein Aufseher kam ihnen entgegen und unterhielt sich leise mit Coakley. Francesca blickte sich derweil in der Großküche um und entdeckte Henrietta, die soeben ein großes Tablett in einen Ofen schob. „Da ist sie“, sagte sie zu Bragg und ging bereits los. „Henrietta!“
Die ältere Frau schloss den Ofen und drehte sich um, dann sah sie Francesca mit großen Augen an. Henrietta war eine rundliche Frau gewesen, aber jetzt war sie so dünn, dass man sie fast als mager bezeichnen konnte. In den letzten Monaten schien sie um zehn Jahre gealtert zu sein, und ihr Haar, das eine rasche Wandlung von Blond zu Grau durchgemacht hatte, war nun nicht mehr lockig, sondern streng nach hinten gekämmt und zum Pferdeschwanz zusammengebunden. „Wie geht es Ihnen, Henrietta?“
Sie schaute an Francesca vorbei zu Bragg, der dem Direktor soeben auftrug, sie beide mit Henrietta allein zu lassen.
„Was glauben Sie denn, wie es mir geht?“, gab sie vor Wut bebend zurück. „Mary ist im Bellevue Hospital eingesperrt, und Bill ist … Gott sei Dank wurde mein Junge nicht für ein Verbrechen verurteilt, das er nicht begangen hat! Und ich sitze hier, an diesem grausigen Ort!“
„Es tut mir sehr leid, dass man Sie verurteilt und hierher geschickt hat“, sagte Francesca mitfühlend.
„Sie hassen meine Familie! Sie hassen jeden von uns!“
„Nein, das stimmt nicht“, beteuerte sie, als Bragg sich zu ihnen stellte. „Mary tut mir sehr leid,
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