Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
Caroline?« Ich erhebe mich aus dem Sessel, gehe zur Tafel und fange an zu zeichnen. Ein großes Plus. Caroline sieht mir zu, zögernd, ehe sie antwortet, als wolle sie sich davon überzeugen, dass sie die richtigen Worte findet.
»Auf jeden Fall habe ich gute Freunde. Und eine Familie, der ich wichtig bin.«
Ich nickte ihr aufmunternd zu, damit sie weiterredet, schreibe »gute Freunde« unter das Pluszeichen.
»Und dann bin ich ja gesund.« Sie kichert. »Entschuldigen Sie, ich weiß, wie blöd sich das anhört. Aber nein, jetzt fällt mir nicht mehr ein. Im Moment jedenfalls nicht.«
Sie schlägt demonstrativ die Arme übereinander und schließt die Augen. Ich vermute, das Gespräch wird jetzt anstrengend und wir nähern uns dem Problem. Dem Grund, aus dem sie hier ist. Ich ergänze die Liste durch »gesund« und zeichne dann ein Minuszeichen.
»Und was ist nicht so gut?«
Caroline schlägt die Hände vors Gesicht.
»Ach Gott«, sagt sie und schluchzt wieder los. »Der Rest, der ganze Scheiß. Dass ich das Examen nicht schaffe. Dass mein Kleiderschrank mit seinem Kram vollgestopft ist. Sogar die Zahnbürste steht noch im Badezimmer. Verstehen Sie, wie krank das ist? Ich habe seit Jahren keinen anderen mehr geküsst, weil ich irgendwie überzeugt davon bin, dass trotz allem Darius und ich zusammengehören. Aber wenn ich mich nun irre? Wenn ich noch in zehn Jahren allein mit seiner Zahnbürste dasitze? Wenn ich irgendwie richtig verrückt werde und mich an seinem Gürtel aufhänge oder so was?«
»Denken Sie manchmal an Selbstmord?«
»Nein. Gott, das nun wirklich nicht. Aber ich begreife ja, wie verrückt das alles ist. Es ist so, als ob ich neben mir stehe und die Situation ganz klar sehen kann. Verstehen kann, dass er nicht mehr da ist. Weil er das so wollte. Und nicht nur, weil diese … weil sie ihn verführt hat.«
Sie schnäuzt sich wieder und zieht die Jacke um ihren dünnen Körper zusammen, als ob sie friert. Ich fange abermals an zu schreiben, versuche ihren Wortschwall in kurzen Punkten zusammenzufassen. Kein Examen. Einsam. Angst, verrückt zu werden.
»Sie sagen, dass Sie die Situation von außen betrachten können. Sie können verstehen, dass er nicht mehr da ist, dass er das so wollte. Wann sind Sie zu dieser Erkenntnis gelangt? Bei unserem letzten Treffen haben Sie gesagt, Sie seien davon überzeugt, dass Sie beide zusammenkommen, dass er die andere verlassen und zu Ihnen zurückkehren wird.«
Eine Bewegung im einen Mundwinkel, vielleicht die Andeutung eines schwachen Lächelns. Langsam lockert sie ihren Griff um das Papiertuch. Legt die kleinen schönen Hände auf ihre Knie.
»Ich habe daran gedacht, was Sie über Ihren Mann erzählt haben, dass Sie loslassen und weitergehen mussten.« Sie legt sich die Hand aufs Herz und fügt hinzu: »Ich fand Sie so inspirierend, Sie und Ihre Kraft. Ich dachte, wenn Sie das geschafft haben, muss mir das doch auch gelingen.«
Wir schweigen ein wenig. Ich weiß plötzlich nicht, was ich sagen soll. Ein Gefühl des Unbehagens und etwas anderes erfüllen mich. Scham. »Jetzt haben wir etwas, womit wir arbeiten können«, murmele ich. »Wenn es nun so ist, dass er für immer fort ist – was bedeutet das für Sie rein praktisch?«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich denke daran, dass seine Sachen noch in Ihrer Wohnung liegen, dass Sie keine anderen Männer kennenlernen. Und dass Sie Ihr Studium nicht beenden konnten, obwohl Sie mehrere Jahre Zeit hatten.«
Sie seufzt tief, zupft wieder an ihrer Jacke, wickelt sich hinein wie in einen Kokon.
»Ich müsste mich von Darius’ Sachen trennen.«
»Sie sollten einen Plan aufstellen«, sage ich. »Sie schreiben alles in Ihrem Leben auf, das stehengeblieben ist, seit er Sie verlassen hat, und dann schreiben Sie auf, was Sie daran ändern können.«
Sie nickt und sieht noch bleicher aus als sonst.
»Die Sachen«, murmelt sie. »Das ist doch unendlich viel. Und alle Papiere. Und Kleider …«
»Man kann Möbel und andere Sachen holen lassen, von wohltätigen Organisationen. Das muss nicht so viel Arbeit sein.«
Sie nickt stumm. Schweigt dann eine Weile und scheint nachzudenken. Draußen wird es jetzt dunkel.
»Es wird leer sein.«
»Das ist das eigentliche Problem. Wenn Sie das Vergangene losgelassen haben, werden Sie Ihr Leben mit einem neuen Sinn füllen müssen. Und diesen Sinn müssen Sie finden.«
»Es ist vielleicht Zeit dafür?«
»Das können nur Sie entscheiden.«
»Meinen Sie, es ist
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