Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
Psychoanalyse mit Standardwerken über Psychiatrie und Medizin drängen. Bengt Holmberg sieht, dass ich die Buchrücken lese, und lacht.
»Das sind Mauds Bücher. Sie ist Psychiaterin, stellen Sie sich das vor? Ich halte mich an die Geschäfte. Mir ist das, was man sehen kann, lieber als das Verborgene. Ja, ich bin Rechtsanwalt, aber den größten Teil meines Lebens war ich in der Finanzbranche tätig.«
Er lacht, setzt sich in einen der abgenutzten englischen Ledersessel und bietet mir mit einer Handbewegung den Sessel neben seinem an.
»Also, Siri, was kann ich für Sie tun? Was möchten Sie über Anders wissen? Und warum möchten Sie das wissen?«
Sein Blick fängt meinen auf, und ich bin dankbar dafür, dass wir uns hier treffen und nicht an einem Verhandlungstisch oder in einem Gerichtssaal. Hinter der jovialen Fassade ahne ich Härte, die vor der Umwelt sorgfältig verborgen wird.
»Wie ich schon am Telefon gesagt habe, war ich mit Stefan Bergman verheiratet.«
»Stefan, ein lieber Junge – und begabt. Er schien wirklich eine Zukunft zu haben. Er und Anders waren auf dem Gymnasium unzertrennlich, die beiden und noch zwei Jungs. Dass er tot ist, tut mir aufrichtig leid. Ein Unfall beim Tauchen, wenn ich das richtig verstanden habe.«
»Ein Unfall oder Selbstmord.«
Ich staune darüber, dass diese Aussage so leicht über meine Lippen kommt. Lange Zeit brachte ich es nicht über mich, an Stefans Tod als an einen Selbstmord zu denken. Dass ich dieses Wort jetzt zu einem Fremden sagen kann, ist befreiend und beängstigend zugleich. Bengt schaut mich wieder mit seinem durchdringenden Blick an und schüttelt den Kopf, fast unmerklich.
»Er soll sich das Leben genommen haben? Das kann ich mir kaum vorstellen. Passt nicht zum Wesen dieses Jungen. Stefan war keiner, der sich so leicht geschlagen gab. Er war eigensinnig, hat alles zu Ende gebracht. Ich weiß noch, wie er und Anders auf dem Grundstück auf Möja Baumstümpfe ausgraben sollten, wir haben da ein Haus. Anders wurde nach einigen Stunden müde, Stefan dagegen machte einfach weiter. Hörte erst auf, als alle ausgegraben waren. Dieser Junge packte zu. Aber Sie wissen das sicher besser, Sie waren ja mit ihm verheiratet, und wenn Sie sagen, dass es Selbstmord war, dann ist es wohl so. Das Leben geht seltsame Wege.«
Bengt Holmberg schaut mich wieder an, und ich ahne Zweifel in seinem Blick, auch wenn er den gut versteckt. Ich kann ihn so gut verstehen. Es ist schwer, Selbstmord zu akzeptieren. Krankheit und Unfälle oder sogar ein Mord sind viel leichter. Vielleicht sitze ich ja gerade deshalb hier. Ich habe mich zwar damit abgefunden, dass Stefan sich das Leben genommen hat, aber sein Grund ist noch immer undeutlich, rutscht mir davon, wie ein Schatten.
Bengt Holmberg hüstelt diskret, und mir geht auf, dass ich schon zu lange schweige.
»Jedenfalls weiß ich jetzt, dass Stefan und Anders einander kannten, und ich wüsste gern, ob sie am Ende Kontakt hatten, vor Anders’ … Tod.«
»Ich glaube nicht, dass sie nach dem Abitur noch Kontakt hatten. Eigentlich seltsam. Sie waren so gute Freunde. Aber Anders war beim Militär und hat danach in Uppsala Jura studiert. Ist dorthin gezogen. Ich nehme an, sie haben sich ganz einfach aus den Augen verloren.«
Ich denke daran, was Maj über Anders und Stefan gesagt hat. Zwei unzertrennliche Freunde. Warum beendet man eine solche Freundschaft so plötzlich? Nur, weil das Erwachsenenleben angefangen hatte, oder gab es andere Ursachen?
»Aber vor dem Ende, vor dem Mord. Haben sie sich da getroffen?«
Bengt Holmberg blinzelt hinter der dicken Brille und schaut die Wand hinter mir an, schüttelt langsam den Kopf. Ich nehme an, dass er sich konzentriert.
»Er war bei der Beerdigung, das weiß ich noch. Sie waren alle drei da. Stefan. Ulrik Lundin und Mikael Arvidsson. Die vier waren das Quartett. Aber Stefan und Anders waren wohl der Mittelpunkt. Sie waren alle auf dem Norra Real.« Er lächelt kurz, und Wehmut und Nostalgie verschleiern seinen Blick. Die Härte von vorhin ist verschwunden, und vor mir sitzt jetzt nur noch ein alternder Mann, der seinen geliebten Sohn verloren hat. Wieder erinnert er mich an einen alten Vogel, wie er so in sich zusammengesunken und mit krummem Rücken vor mir im Sessel sitzt.
»Haben Sie bei der Beerdigung mit Stefan gesprochen?« Meine Stimme ist leise und kann die Worte kaum tragen. Plötzlich kommt es mir lebenswichtig vor, zu wissen, was Stefan gesagt, was er gedacht
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