Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beweislast

Beweislast

Titel: Beweislast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
Süden. Wer denkt denn an die Allgemeinheit – an das Morgen? Nicht mal die Politiker. Die schon gar nicht. Außer schöne Reden hatte er in den Jahren nach dem Wirtschaftswunder, nach den Zeiten, die er und seine Generation als früher bezeichneten, nichts mehr feststellen können. Nur Geschwätz. Von sozialer Sicherheit und umweltschonenden Maßnahmen. Das Gegenteil war eingetreten. Und wenn es Einsichten gab, gerade im Hinblick auf den geschundenen Planeten, dann waren es einzelne Länder, die etwas unternahmen. Aber dass die Zerstörung der Umwelt an Ländergrenzen nicht Halt macht, schien die provinziellen Politiker nicht zu interessieren. Und die, die auf dem hohen Ross weltmächtiger Staaten saßen, kümmerte es einen Dreck darum, ob der Planet vollends vor die Hunde ging. Doch auch dies war ein Zeichen für die Oberflächlichkeit, mit der die Herrschenden und Herrschsüchtigen, die Arrogantlinge und multinationalen Konzern-Egoisten die Natur und die Schöpfung auf Menschen verachtende Weise ignorierten. Sie hatten den Kontakt zu dem wirklich Wichtigen längst verloren. Für sie war ihre eigene kleine Welt das Maß aller Dinge. Ohne sich bewusst zu sein, dass dieser Planet, dieser winzige Brocken in einem pechschwarzen, eiskalten, luftleeren Universum etwas absolut Einmaliges darstellt. Astronauten schwärmen davon, wie ihnen die Erde mit ihrem hell strahlenden Blau wie ein Wunder erschien. Wie ein Geschenk des Himmels – was sie auch sein musste. Die allein lebenserhaltende Atmosphäre wirke so dünn und zerbrechlich, dass es einem angst und bange werden könne, hatte mal einer gesagt. Und in dieser Schicht, die aus astronomischen Distanzen nicht mehr erkennbar ist, wuseln – einem Ameisenhaufen gleich – Milliarden Menschen, von denen sich jeder Einzelne sein eigenes kleines Weltbild geschaffen hat. Man maßte sich an, über Sein oder Nichtsein zu entscheiden. Über Krieg und Frieden, über eine paradiesische oder zerstörte Umwelt – über soziale Gerechtigkeit oder den unvorstellbaren Wohlstand Einzelner, die Millionen ausgeben konnten, ohne mit der Wimper zu zucken. Und die darüber entschieden, wie es jenen ergehen sollte, die plötzlich alles verloren hatten. Wie er, Ketschmar.
     
    Das und noch viel mehr hatte er dem Psychiater erzählt. Über Gott und die Welt hatten sie sich unterhalten. Einen ganzen Tag lang. Der Mediziner würde darüber befinden müssen, wie es um seine Psyche stand, um sein Seelenleben. Ob er zurechnungsfähig war, ob man ihn der Tat würde voll verantwortlich machen können. Ob er geistig verwirrt war, ob er eine Macke hatte. Ketschmar war sich zeitweilig vorgekommen, als ob er wirklich abseits der allgemein gültigen Regeln stand. So sehr er seine Unschuld beteuerte, um so mehr schien der Herr Professor die Meinung bestä­tigt zu finden, dass er ein uneinsichtiger Charakter sei, der – unbeeindruckt von allen Indizien – hartnäckig an seiner Version der Dinge festhielt.
    Ketschmar schilderte seinem Schwiegersohn seine Ängste, wie er dies nie zuvor getan hätte. Nichts war mehr geblieben von dem selbstsicheren Auftreten eines erfolgreichen Bauingenieurs. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie der mich in die Enge getrieben hat«, sagte er schließlich. »Für die Psychiater bin ich ein Querkopf, dem alles zuzutrauen ist.«
    Traknow sah seinen Schwiegervater ernst an. »Wir müssen jeden Punkt schrittweise entkräften.«
    »Was heißt da entkräften?« Sollen die mir doch beweisen, dass ichs war. Warum muss ich mich wehren – ich, der ich nichts getan hab?«
    Der Anwalt begann, in seinen Akten zu blättern. »Sie sind alle der Meinung, dass sie es dir schon bewiesen haben«, stellte er sachlich fest. Viel zu sachlich, wie er sich sofort eingestehen musste.
    Ketschmar schloss die Augen. Er wollte nicht mehr. Sie hatten es schon nach vier Wochen geschafft, ihn zu erledigen. Und mit jedem Tag, den er hier verbringen musste, in dieser Aufbewahrungsanstalt, zwischen Mauern und Gittern, zwischen gnadenlosen Verbrechern und diesem Aufsichtspersonal, das mit Schlüsselrasseln und energischen Kommandos seine Macht über andere ausleben konnte.
    Monika war plötzlich so weit weg. Sie hatte ihm schon viele Briefe geschrieben, Chrissi auch. Anfangs noch hatten sie aus Angst vor der richterlichen Zensur Hemmungen gehabt, darin ihre tiefsten Gefühle preiszugeben. Jetzt aber war es ihnen egal, dass es jemanden gab, der ihre Zeilen las. Sollten sie doch. Sie hatten nichts zu

Weitere Kostenlose Bücher