Beziehungswaise Roman
schwach wird, um selbst aufzustehen. Zu schwach, um selbst aufzustehen. Zu schwach, um aufzustehen.
Sie schauen auf die Uhr und stehen auf. Ole schnappt sich noch ein Stück Kuchen, wir bringen sie zur Tür. Helle lächelt uns freundlich an.
»Es gibt eine Menge Leute, die keine Krankenhäuser mögen. Aber nicht alle haben das Glück, eine solche Familie zu haben.«
»Genau«, mampft Ole.
Als sie die Treppe hinuntergehen, winken wir ihnen nach. Dann schließen wir die Tür und schauen uns an. Dann legt Ebba ihren Arm um Sunes Schultern.
»Gut gemacht«, sagt Ebba.
»Genau«, sage ich und nehme Sune in den Arm.
Sie lächelt verlegen. Mit Kritik kann sie besser umgehen. »Und was kostet das alles?«
Bei Käffchen und einem Stück Restkuchen, das Ole irgendwie übersehen haben muss, legt Sune uns den Plan vor. Ole und Helle werden vom Staat gestellt, die speziellen Schmerzmittel hängen stark von staatlichen Zuschüssen ab, aber wir sind ja in Dänemark. Für das neue Bett müssen wir wahrscheinlich einen Eigenanteil leisten, doch es wird ja nur gemietet, man kann es anschließend wieder zurückgeben.Und was diesen Perfusor angeht, da muss Sune sich erst noch erkundigen. Die beiden diskutieren den weiteren Versorgungsplan aus. Ich werfe einen Blick ins Schlafzimmer. Far schläft. Er sieht aus, als würde er jeden Moment die Augen aufmachen und mich auslachen. Nachdem ich ein paar Minuten vergeblich gewartet habe, ziehe ich mich leise zurück.
Sune hängt am Telefon und kümmert sich. Ich kann ihr nicht dabei helfen, weiß nicht, wie die Dinge hier funktionieren, wo man Gelder oder Hilfe beantragen kann. In Deutschland könnte ich alles organisieren. Sich auskennen ist auch Heimat.
Far wird wach. Ich helfe ihm auf die Toilette und räume dann das Schlafzimmer um. Während ich das Doppelbett der beiden trenne und so Platz für das Pflegebett mache, wird Far auf einem Stuhl geparkt, von dem aus er alles ausführlich kommentiert. Tess sah wieder hinreißend aus ... so eine tolle Frau ... wenn er selbst fünfzig Jahre jünger wäre ... klug, schön, bestimmt eine gute Mutter ... wieso unternehme ich nichts ... bin ich sein Sohn ... da unten alles in Ordnung?
Als er mit Tess durch ist, kommt sein Zustand dran. Endlich trägt man ihm alles nach ... endlich Zeit zum Lesen ... endlich eine Ausrede, Ebbas Essen nicht aufessen zu müssen ... und, wow, Sterben spart Geld, denn man braucht dann keine Steuern mehr zu zahlen ... Ich will diesen Mist nicht hören. Aber statt ihm zu sagen, dass er die Klappe halten soll, halte ich meine. Mein Beitrag zur Familienpflege.
Als die Betten geteilt sind, legt er sich wieder hin. Ich habe ihn in meinem ganzen Leben nicht so oft im Bett gesehen wie in den letzten Tagen. Er beginnt wieder, den Ratgeber zu lesen, und gibt mir Tipps, wie man Wespennester entsorgt.
Es klingelt an der Tür. Ein großer Mann mit wildem Blick steht davor. Roland. Seinen Hut hält er in der einen Hand und verdeckt damit die andere. Nach seiner Scheidung hat er wochenlang bei uns gewohnt, doch er übersieht uns und fragt Ebba, wo Far ist. Ebba bringt ihn zum Schlafzimmer. Vor der Tür strafft er sich und geht rein.
Sune hängt immer noch am Telefon. Ich gehe fürs Wochenende einkaufen und putze danach den Hausflur. Ebba muss ich alle drei Minuten irgendwas aus der Hand nehmen und sie zum Sessel zurückschicken. In dem ganzen Trubel vergisst man leicht, dass sie vierundachtzig ist. Allen voran, sie selbst. Es ist mir ein Rätsel, wie die beiden das alles bisher allein geschafft haben.
Nach mehr als einer Stunde kommt Roland wieder aus dem Schlafzimmer. Noch im Flur setzt er sich den Hut auf und verlässt wortlos die Wohnung. Die Wohnungstür bleibt ein Stück offen stehen, und wenig später hallt ein kurzes, hartes Geräusch durch das Treppenhaus. Ich schließe die Tür und werfe einen Blick ins Schlafzimmer. Far ist wach. Er hält den Ratgeber in der Hand, schaut aber aus dem Fenster.
»Alles in Ordnung?«
Er wendet mir sein Gesicht zu und lächelt kummervoll. »Ach, Roland, der Esel«, sagt er liebevoll. »Er war schon immer so sentimental.«
Für einen Augenblick, bloß für einen winzigen Moment, sehe ich einen Ausdruck in seinem Gesicht, der mich an den erinnert, den er hatte, als ich am Strand die Augen aufschlug. Dann wedelt er mit dem Buch.
»Weißt du, das Problem, im Bett zu lesen, ist, dass man anschließend nicht ins Bett gehen kann.«
Ich starre ihn an. Dann senke ich meinen Blick und
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