Bezueglich Enten und Universen
Sie bot mir einen Stuhl an und eine Erfrischung aus einem kleinen Kühlschrank, der sich unter ihrem Schreibtisch befand. »Dieses Büro ist meine Operationsbasis. Pip, Ham und Daisy – meine beiden Söhne und meine Tochter – erledigen meistens die Laufarbeit.«
»Wunderschöne Naturnamen«, sagte ich, »Kern, Schinken und Gänseblümchen.« Ich akzeptierte ein Glas Wasser und ein Käsebällchen und setzte mich. Der Schreibtisch der Detektivin war übersät mit Papieren und Zeitungsartikeln. An der hinteren Wand des beengten Büros lehnten Stapel von Dokumenten, die kurz vor dem Umkippen standen. Stadtpläne und Fotografien bedeckten den größten Teil der verfügbaren Wandfläche. In einer Ecke befand sich ein Ständer mit Kleidungsstücken (für Verkleidungen?).
»Nun, was können wir für Sie tun? Eine verschwundene Geliebte suchen vielleicht? Den Hintergrund Ihrer Verlobten abchecken?«
»Nein, nichts dergleichen. ...«
Mrs Noor wartete einen Moment, dann deutete sie, ohne sich umzudrehen, auf eine Messingplakette, die hinter ihr an der Wand hing. »Da oben. Lesen Sie vor.«
Ich fühlte mich wie ein Schuljunge, während ich den aus zwei Worten bestehenden Satz vorlas. »Hypothetisch gesprochen.«
»Verzeihen Sie, aber das habe ich nicht ganz verstanden.«
»Hypothetisch gesprochen«, wiederholte ich lauter.
»Und jetzt können Sie sagen, was immer Sie sagen möchten.« Sie schob ein paar Papiere auf ihrem Schreibtisch umher und buddelte einen Stift und ein winziges, pflaumenfarbenes Notizbuch aus. »Es ist absolut legal, alles zu
sagen,
was sie wollen, solange Sie nicht vorhaben, es in die Tat umzusetzen. Nicht sehrklug vielleicht, aber legal. Sie könnten mir vorschlagen, dass ich Ihrer Frau nachspioniere – was, wenn ich es tun würde, eine klare Verletzung ihrer Intimsphäre und ein Verstoß gegen Paragraf 3 wäre. Aber ich wäre nicht verpflichtet, Sie anzuzeigen, nur weil sie den Gedanken äußern. Wenn Sie versuchen würden, mich dafür zu bezahlen, das wäre eine andere Sache. Noch ein Käsebällchen?«
»Ich bin nicht verheiratet.«
Sie nahm sich ein Käsebällchen. »Das war nur ein Beispiel. Ich sehe schon, es ist nicht ganz so einfach.«
»Ich wurde vor dem Tag Y geboren.«
»Ein Alter.« Sie wischte sich die Hände ab, zog die Kappe von ihrem Stift und schlug das Notizbuch auf einer neuen Seite auf. »Schießen Sie los.«
Obwohl mir klar war, dass die erste Person, der ich mich anvertraute, mir völlig fremd war und mich wahrscheinlich über den Tisch ziehen wollte, berichtete ich Mrs Noor von dem Anruf, der mich vor einem Monat über das Hinscheiden meiner Tante Henrietta informiert hatte. Der Anwalt aus Miami sagte, während ich noch im Bett lag und mich vergewisserte, dass mein Pyjama auch anständig zugeknöpft war: »Ihnen als ihrem Großneffen hat sie ihre Sammlung von – warten Sie, wo ist es denn – die
Hälfte
ihrer Sammlung von Porzellanfigürchen vermacht. Delfine. Ihr Anteil beläuft sich auf zweiundvierzig Stück. Ich schicke sie Ihnen per Post.«
»Wie groß sind sie denn?«, hatte ich besorgt gefragt. Ich erinnerte mich daran, dass Tante Henriettas Haus in Florida eine Art Museum für allen möglichen Schnickschnack gewesen war, den sie aus dem Ausland mitgebracht hatte. Einiges davon war ziemlich voluminös gewesen.
»Jeder Delfin hat etwa die Größe einer Orange, glaube ich, und steht auf einem eigenen Ständer. Aber das ist nicht alles, was sie Ihnen hinterlassen hat«, fügte er hinzu.
»Ja?« Meine Hoffnungen wuchsen. Ich setzte mich auf und stieß versehentlich die Lampe vom Nachttisch.
»Es handelt sich um eine Fotografie.«
»Ein Foto – oh.«
»Ihre Tante hat großzügigerweise noch zu Lebzeiten den größten Teil ihres Vermögens für wohltätige Zwecke gestiftet«, sagte er in einem Tonfall, der sorgfältig von allem außer Professionalität gereinigt war. »Ich lege die Fotografie den Figürchen bei.«
Ein paar Tage später stand eine große Holzkiste mit zweiundvierzig sicher in Luftpolsterfolie verpackten Delfinfigürchen auf meiner Schwelle. Ganz am Boden der Kiste fand ich einen einfachen, braunen Umschlag. Er enthielt die Fotografie. Sie war schon stark verblasst und zeigte meinen Vater, der in seinen Armen ein Baby hielt.
Mich.
Und zwar am Tag Y, wenn man dem Datum auf der Rückseite glauben durfte. Zehn Tage
vor
dem offiziellen Geburtsdatum auf der Identikarte, die ich schon mein ganzes Leben lang besaß.
Was bedeutete, dass
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