Bezwungen von deiner Leidenschaft: Roman (German Edition)
hatte sie gerade selbst ihre Frage beantwortet. Vielleicht war genau das der Grund, warum es ihr ein so schreckliches Schicksal zu sein schien.
Camille öffnete die Augen und starrte auf die Welt jenseits ihres Fensters – die eleganten Stadthäuser und die glänzenden, wappengeschmückten Kutschen, die vorbeifuhren, mit den livrierten Dienern hinter dem Wagenkasten. Das war die Welt, in der ihr Kind leben würde; die Welt des aristokratischen Englands. Nicht irgendeine weitab gelegene Kolonie wie die Westindischen Inseln oder die Anonymität des ländlichen Frankreich.
Mit oder ohne beide Eltern würde ihr Kind ein Teil der Gesellschaft sein, in der weder sie noch Kieran sich vollkommen heimisch fühlten. Und das machte ihr Vorhaben für diesen Nachmittag umso kritischer – und Kierans Abwesenheit vielleicht umso passender.
Sie dachte an jenen Moment im Hyde Park zurück, als sie Lord Halburne zum ersten Mal gesehen hatte. Wie war er, dieser Mann, mit dem ihre Mutter einst verheiratet war? Er hatte einen weiten grauen Umhang getragen, erinnerte Camille sich, aber keinen Hut, den er gewiss abgenommen hätte, um die zwei jungen Damen am Serpentinenteich zu grüßen. Sein Haar war schneeweiß gewesen, und auf den ersten Blick war er Camille auffallend groß und dünn vorgekommen. Er hatte sich heruntergebeugt, um den kleinen schwarzen Pudel zu begrüßen, den eine der Damen an der Leine führte.
Camille wünschte, sie hätte Halburnes Worte hören können – oder zumindest seine Stimme. Hatte sie aufrichtig geklungen? Freundlich? Ein unfreundlicher Mann würde doch niemals seine Zeit damit verschwenden, einen Hund zu streicheln? Viel Trost war aus dieser Überlegung nicht zu ziehen, aber es war alles, was Camille hatte. Als sie die Uhr vier schlagen hörte, nahm sie ihren Mut zusammen und ging nach unten. Während sie die Handschuhe anzog und ihren Umhang umlegte, informierte sie Trammel darüber, dass sie einen langen Spaziergang zu machen gedachte. Die Begleitung eines Lakaien lehnte sie ab. Sie wollte einen Besuch machen, der zutiefst persönlich war und kein Publikum brauchte.
Gegen Mittag war der Regen vom Kanal herübergezogen und ertränkte alles, was auf seinem Weg nach London lag. Der Duke of Warneham saß im kleinen Büro seines Butlers neben der großen Eingangshalle von Selsdon Court, als sich auf der Auffahrt draußen ein Tumult erhob.
»Was zum Teufel ist da los?«, fragte er und schaute von den Papieren auf, die er durchgesehen hatte.
Coggins erhob sich. »Ich werde nachsehen, Hoheit«, sagte er und ging zum Fenster. Fast sofort wandte er sich wieder um. »Es ist ein Phaeton, Sir, der sehr schnell fährt. Es sieht aus, als hätte er den Torpfosten mitgenommen.«
»Zum Teufel!«, fluchte Warneham, verließ mit großen Schritten das Zimmer und ging in die Halle.
Hier war das Toben des Sturmes lauter zu hören. Zwei Livrierte hatten bereits die Tür geöffnet und waren die Treppe hinuntergegangen, mit großen schwarzen Regenschirmen, mit denen sie den Gast und das Gepäck, das er bei sich haben könnte, vor dem sintflutartigen Regen zu schützen gedachten.
Warneham schaute finster auf den vertrauten großen schwarzen Kutschwagen hinunter, der vor der Treppe hielt, und auf die beiden schwarzen Pferde, denen der Schaum aus den Mäulern lief und die im Wolkenbruch nervös tänzelten.
»Du!«, rief er gereizt. »Du und meine verdammten Torpfosten! Das ist ein ständiges Gemetzel, das sage ich dir!«
Der Duke legte sich bereits die Worte zurecht, mit denen er seinem Freund weiter zusetzen wollte, als Lord Rothewell unbeholfen nach dem Verdeck des Phaetons griff und hinunterzusteigen versuchte – versuchte, war passender, denn der Baron sprang weniger aus seinem hohen Gefährt, als dass er nach vorn kippte, fast auf die gekieste Auffahrt hinunterfiel.
»Guter Gott!« Der Duke war im Nu aus dem Haus und die Treppe hinuntergelaufen.
Die Diener hatten ihre Regenschirme fallen lassen und Lord Rothewell unter beiden Armen gepackt, als der Duke bei ihm anlangte. »Guter Gott!«, überbrüllte er noch einmal den Regen. »Was ist passiert?«
Trotz des Klappverdecks waren Rothewells Kleider vom Regen durchnässt, sein Hut klitschnass, und sein schwarzes Haar klebte an seinem Kopf. Er wirkte niedergeschlagen, als er seinen alten Freund ansah. »Bring mich hinein«, keuchte er. »Ich muss mit dir reden.«
»Was hast du dir dabei gedacht, mitten hinein in einen Sturm zu fahren?«, wollte der Duke wissen,
Weitere Kostenlose Bücher