Bibbeleskaes
Glas Wasser, bitte!«
Hodapp gab Stechele ein Zeichen, der sich daraufhin gnädig erhob und kurz aus dem Zimmer verschwand.
»Ich bin sicher, dass es Luc nicht war«, sagte ich noch einmal zu Hodapp, weil er für mich der Verständnisvollere der beiden war.
Der seufzte nur und meinte: »Ich wünsche mir auch manchmal, dass der Glaube Berge versetzen kann.«
Stechele kam mit einer Wasserflasche und einem Plastikbecher zurück. Er goss mir ein Glas ein, das ich wie eine Verdurstende austrank. Ich wollte schon aufstehen und gehen, aber das Verhör war noch nicht zu Ende.
»Wir wissen noch nicht, wie Felix Ketterer von Allerheiligen nach Fautenbach zurückkam«, machte Hodapp weiter. »Bisher haben wir niemanden gefunden, der ihn mitgenommen hat.«
»Zu Fuà wird er wohl nicht gegangen sein.« Stechele lachte allein über seinen Witz.
»Ich weià es auch nicht«, sagte ich.
»Carlo Sivori, der Wirt der Allerheiligen-Gaststätte, hat ausgesagt, dass Sie gegen Mitternacht das Lokal verlieÃen und die Flasche Topinambur mitnahmen, aus der Sie den Abend über getrunken haben«, las Hodapp aus seinem Schnellhefter ab. »Warum haben Sie den Schnaps mitgenommen?«
Stimmt, hatte ich. Aber ich hatte keine Ahnung, wieso. Vielleicht, weil er so gut war, weil ich mir den Namen der Brennerin merken wollte, vielleicht weil ich zu Hause weitersaufen wollte. Die Flasche musste noch irgendwo in meinem Auto liegen.
»Haben Sie Felix Ketterer mit ins Tal genommen?« Stechele, wieder lauernd.
»Nein«, erklärte ich. »Ich war froh, dass ich mein Auto gefunden habe. Ich war mutterseelenallein.«
»Felix Ketterer hat nicht auf dem Parkplatz auf Sie gewartet?«, hakte Hodapp nach.
Was wollten sie mir da anhängen? Dass ich Felix mitgenommen, ihn besoffen gemacht, anschlieÃend in den Bach geworfen hatte? Ich roch die Zwiebeln, den scharfen Männergeruch von Hodapp, die verbrauchte Luft, wieder die Atemnot, wieder hatte ich entsetzlichen Durst.
»Ein Glas Wasser, bitte.«
»Warum hat Felix Ketterer auf Sie gewartet? Wollte er Sie vor Luc Murnier warnen?« Stechele hielt die Wasserflasche fest, machte keine Anstalten, mir etwas davon einzugieÃen.
»Er war nicht da«, krächzte ich. »Ich habe ihn in der Pause zum letzten Mal gesehen und dann erst wieder, als er tot im Bach lag.«
»Die Liebe, Frau Schweitzer, lässt Menschen die seltsamsten Dinge tun«, gurrte Hodapp in diesem falschen väterlichen Ton. »Und Sie wollen Luc Murnier doch entlasten, Sie wollen doch beweisen, dass er kein Mörder ist.«
»Deswegen bringe ich doch keinen Menschen um!«, schrie ich und sprang auf. »Sie sind auf dem falschen Dampfer. Zudem besteht doch die Möglichkeit, dass er sich selbst umgebracht hat. So was muss sich doch feststellen lassen. Wie sieht das Ergebnis der Obduktion aus? Ich bestehe darauf, dass Sie mir die Ergebnisse zeigen.«
»Beruhigen Sie sich«, befahl mir Hodapp und füllte meinen Becher mit Wasser. »Die Ergebnisse der Obduktion liegen noch nicht vor. Trinken Sie.«
Sie gönnten mir nur eine kurze Pause. Dann machten Sie weiter. Wiederholten Fragen, dröselten Unstimmigkeiten auf, sprangen wild zwischen dem Fall im Elsass und dem im Badischen hin und her, klangen mal heiter, mal aggressiv, demontierten mein Bild von Luc und träufelten mir so lange das Gift des Misstrauens ein, bis ich nicht mehr wusste, was ich glauben sollte.
Sie lieÃen mich über die Klinge springen. Ihrem abgekarteten Spiel war ich nicht gewachsen. Sowie ich mir widersprach, zitierten sie Aussagen von mir, die ich vor fünf oder zehn Minuten, vielleicht vor einer Stunde gemacht hatte. In meinem Kopf drehte sich alles, ich vergaÃ, was richtig und was falsch war, ich hatte keinerlei Zeitgefühl mehr.
Kurz verlor ich mich in einer Geschichte, die Luc mir über New York erzählt und über die wir herzlich gelacht hatten. Im berühmten Kathâs Deli hatte er das nicht minder berühmte Pastrami-Sandwich gegessen und an die ebenfalls berühmte Szene aus »Harry und Sally« gedacht, die genau dort spielte. Er erzählte von den Touristinnen, die es sich nicht nehmen lieÃen, Sallys Orgasmus-Stöhnen nachzuahmen, und von Touristen, die darauf mit dem Filmzitat reagierten: »Ich möchte das Gleiche haben, was sie hatte.« Falls ich ihm jemals ein Pastrami-Sandwich serviere,
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