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Bibbeleskaes

Bibbeleskaes

Titel: Bibbeleskaes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Glaser
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öffnete eilfertig alle Fenster, bevor er sich wieder an seinen Topf stellte, seine Karamellmasse aufwirbelte, mit ausladenden Bewegungen lange Fäden herauszog und damit ein bisschen in der Luft herumfummelte. Schon hatte er einen lockeren Knäuel Engelshaar gezaubert. Bei ihm sah alles ganz einfach aus. Ich beobachtete ihn eine Zeit lang, versuchte, mir sein Tempo und seinen Rhythmus einzuprägen. Schnell die Gabel eintauchen, dann langsam, aber stetig ziehen. Ich versuchte es erneut. Da! Der erste lange Faden! Leider vergaß ich, ihn zu zwirbeln, der Faden brach ab. Die Bruchstücke warf ich zurück in den Topf, startete den nächsten Versuch.
    Â»Geduld, Geduld«, mahnte uns der Meister. »Geduld und eine ruhige Hand.«
    Erstaunlicherweise war meine Hand an diesem Morgen wirklich ruhig. Völlig auf die goldene Flüssigkeit im Topf vor mir konzentriert, versuchte ich es weiter. Und siehe da, mein erstes Knäuel Engelshaar gelang. Jetzt packte mich der Ehrgeiz! Emsig häufelte ich ein Knäuel nach dem nächsten auf das Backpapier neben meinem Topf, während René und Thomas an der Königsdisziplin verzweifelten. Das Gemeine an diesen Kunstwerken ist, dass sie eine sehr geringe Lebensdauer haben. Zucker zieht schnell Feuchtigkeit, die Feuchtigkeit nimmt den Gebilden die Spannkraft, sie sacken zusammen, deshalb können sie nie auf Vorrat hergestellt werden.
    Aber ich hatte jetzt den Dreh raus. Also schnappte ich mir eine Glasschüssel, drehte sie um und versuchte mich an einem filigranen Zuckerfadenkörbchen. Einen Faden nach dem nächsten webte ich um die Glaskuppel herum, ein goldenes Spinnennetz der Extraklasse. Ich war so was von stolz, als es mir gelang! Deville, der seinen Topf längst leer gesponnen hatte, trat seinen Kontrollgang an und nickte mir sehr anerkennend zu, als er mein Zuckerkörbchen betrachtete.
    Â»C’est la patience des femmes«, schwärmte er und klopfte mir anerkennend auf die Schulter.
    Männer redeten gern von Geduld, so als wäre dies eine geschlechtsspezifische Tugend. Ich bin mit Sicherheit nicht geduldiger als männliche Kollegen, aber ich neige nicht so zur Selbstüberschätzung wie viele von ihnen. Und beim Zuckerspinnen kam mir das jetzt zupass.
    Â»Für die Spiralen ist es wichtig, dass ihr einen glatten, runden Kochlöffel verwendet, keinen, der sich zum Ende hin verdickt, keinen mit einer Öse zum Aufhängen«, erklärte Deville jetzt und hielt mir einen solchen Kochlöffel hin.
    Okay, die Königsdisziplin! Es war verdammt schwer, den Faden schnell genug um den Kochlöffel zu wickeln, denn Karamell wurde in Windeseile hart. Wieder ein Fehlversuch nach dem nächsten, dann gelang es mir, den Faden zweimal, dreimal um den Stiel zu wickeln, am Ende gar fünfmal.
    Deville lobte mich über den grünen Klee, und ich fragte mich, warum ich überhaupt etwas anderes tat als Kochen. Darin war ich gut, darin war ich geübt, das hatte ich von der Pike auf gelernt, in diesem Metier konnte ich mich jeder Herausforderung stellen. Sogar der, Engelshaar zu spinnen und Spiralen zu rollen. Warum nur wollte ich als Dilettantin einem Mörder auf die Spur kommen?
    Bei der Werkschau am Ende des Kurses führte mich Deville als Musterschülerin vor. Die Kollegen schwankten zwischen Neid und Bewunderung, ich strahlte heitere, fast bescheidene Gelassenheit aus, dabei freute es mich schon, dass ich es all diesen Jungspunden gezeigt hatte. Beim Abschied – drei Küsschen – bat mich Deville inständig, nicht noch einen weiteren Termin zu versäumen. Das wäre doch eine Schande bei so viel Begabung.
    Natürlich war ich begabt, ich war ehrgeizig, ich war eine ausgezeichnete Köchin. Wenn ich nicht immer über Leichen stolpern und meine Nase in anderer Leute Probleme stecken würde, hätte ich schon längst einen Michelin-Stern für die Weiße Lilie.
    Und die letzte Leiche, die von Murnier, ließ mich nicht los. Kaum hatte ich das Hotel in der Rue de Francs Bourgeois verlassen, war’s vorbei mit Gelassenheit und Konzentration, ich wurde von einer inneren Unruhe erfasst. Ich lehnte das Angebot von Thomas und René ab, gemeinsam ein Glas in einem Café auf der Place Kleber zu trinken, und rief stattdessen Luc an, der doch schon längst die Gendarmerie wieder verlassen haben musste. Er ging nicht ans Telefon, genau wie Antoinette, die als Nächste auf meiner Liste

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