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Bibbeleskaes

Bibbeleskaes

Titel: Bibbeleskaes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Glaser
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mit Martha und Murnier zeigte, hatte mich irritiert. Jetzt, wo ich über Gerti nachdachte, fiel mir ein, was es war. Auf dem Foto strahlte Gerti, wirkte voller Lebensfreude, aber so hatte ich sie weder als Kind noch später je erlebt.
    Manchmal war sie spätnachmittags in der Linde aufgetaucht. Immer entschuldigte sie sich für den unangemeldeten Besuch, immer brachte sie einen Blumenstrauß mit. Den hatte Martha in der großen grünen Vase auf den Tresen gestellt, bevor sie sich mit Gerti in den hintersten Winkel der Küche zurückzog, darauf bedacht, dass keiner von uns mitbekam, worüber sie redeten. Wenn Gerti ging, hatte sie es immer eilig gehabt, war schnell durch die Tür gehuscht. Martha hatte danach geseufzt, den Kopf geschüttelt oder betrübt aus dem Fenster gesehen.
    Als Kind hatte es mich nicht interessiert, über was die beiden Frauen sprachen, aber Gerti hatte für mich immer etwas Erloschenes, etwas Gebrochenes ausgestrahlt. Wie jemand, dem man den Boden unter den Füßen weggezogen hatte. Wie jemand, der glaubte, sich für seine Existenz entschuldigen zu müssen. Felix, stellte ich beim Nachdenken fest, war ein bisschen so, wie ich Gerti in Erinnerung hatte. Auch er hatte das Strahlen aus Kindertagen verloren. Die beiden wirkten wie seltene Pflanzen, die ihre Pracht nur kurze Zeit entfalten und dann früh verblühen.
    Diesmal nahm ich den Weg über die Gambsheimer Brücke, und natürlich sah ich rechter Hand das aus dem Boden gestampfte Einkaufszentrum von Freistett. Frisch für die Franzosen gebaut, seit in Frankreich Lebensmittel und Kosmetika teurer waren als bei uns. In Scharen kamen sie zum Einkaufen über die Brücke, so wie früher die Deutschen in Massen in den Super U von Gambsheim gefahren waren. Heute kauften sie da nur noch den Cremant d’Alsace, der preisgünstig war, weil die Franzosen keine Sektsteuer erhoben. Tanken tat man, je nach Tagespreis, entweder auf der rechten oder der linken Rheinseite. Geld wechselte gern und leicht die Grenzen, schon meine Urgroßmutter hatte ihre Eier auf dem Straßburger Markt verkauft.
    Ich überquerte die Brücke und fuhr über die Autoroute des Cigognes , die Storchen-Autobahn, nach Straßburg hinein. Ein Tipp von Luc, der mir empfohlen hatte, den Wagen auf einem Park-and-ride-Platz abzustellen und dann die Bahn zu nehmen, um der leidigen Parkplatzsuche in der Innenstadt zu entgehen. Das funktionierte tatsächlich ganz wunderbar. Die Bahn fuhr direkt bis zur Place Kleber. In der Straßenbahn versuchte ich noch einmal, Antoinette zu erreichen. Vergeblich.
    Es war zehn vor zehn, als ich an der Place Kleber ausstieg. Heute kam ich rechtzeitig zu meinem Patissier-Kurs.
    Deville, wieder in seiner rosa Kochjacke, scheuchte mich wie vor zwei Tagen in die letzte Küchenzeile. Zum Glück gesellten sich Thomas und René bald zu mir und erzählten, dass sie den gestrigen Tag mit dem erneuten Herstellen von Macarons zugebracht hatten. Und nein, heute stand nicht die Fabrikation der Macarons-Füllungen auf dem Programm, sondern das Spinnen von Zucker.
    Mittels Laptop und Beamer warf Deville zur Einstimmung beeindruckende Bilder an die Wand: einen Turm aus Profiteroles, umhüllt von einem filigranen Zuckernetz; mit Engelshaar verzierte Torten; und, als Königsdisziplin, feinste Spiralen aus Karamell. In Wien hatte ich mich zum letzten Mal in dieser Kunst versucht, aber so etwas Feines wie das, was Deville auf den Fotos zeigte, war mir nie gelungen. Stattdessen viele Karamellklumpen und sehr wenig fein gesponnenes Zuckerhaar.
    Einzige Zutat für all diese Wunderwerke war Zucker. Zucker, den man in einem Topf erhitzte, damit er flüssig wurde und karamellisierte. Zunächst brauchte es dafür eine sehr hohe Temperatur, danach eine moderate. Mit ein bisschen Übung kriegte das jeder hin. Doch der Teufel steckte wie überall im Detail. Nur bei einer ganz bestimmten Temperatur hatte der Zucker die richtige Konsistenz zum Fädenziehen. Ich probierte es mit dem Löffel, ich probierte es mit der Gabel. Von streichholzkurzen Fäden bis hin zu fetten Klumpen war alles dabei, nur nie ein wirklich langer Faden, geschweige denn ein ganzes Netz aus Fäden.
    Ich war nicht allein mit diesem Problem, alle taten sich damit schwer, einer der Jungspunde ließ bei dem eifrigen Probieren seinen Karamell verbrennen, und nichts riecht so bitter wie verbrannter Zucker.
    Deville

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