Big Bad City
und freundlich wie immer.« Er dachte kurz darüber nach und nickte dann. »Wir haben im Lauf des Tages immer wieder mal zusammengearbeitet. Mir ist an ihrem Verhalten nichts Ungewöhnliches aufgefallen.«
»Sie hat sich nicht seltsam benommen oder…«
»Überhaupt nicht. Sie war nett und freundlich wie immer. Es tut mir leid, daß ich immer wieder auf diese Begriffe zurückgreifen muß. Sie werden manchmal mit geistlos, langweilig oder fade gleichgesetzt. Aber Mary hatte etwas an sich, das einen gleichzeitig irgendwie beruhigte und aufheiterte. Eine gewisse … ja, Freundlichkeit und Fröhlichkeit. In ihrem Lächeln, in ihren Augen. Sie schien ein Mensch zu sein, der sich vollständig verwirklicht hatte, und strahlte als solcher eine geradezu ansteckende Freude aus. Verzeihen Sie«, sagte er und wandte kurz das Gesicht ab. »Ich habe sie sehr gemocht. Wir alle haben sie sehr gemocht.«
Er zog ein Papiertuch aus der Schachtel auf seinem Schreibtisch, tupfte seine Augen ab und putzte sich die Nase. Die Detectives warteten.
»Verzeihen Sie«, sagte er erneut.
»Dr. Hall«, sagte Brown, »hat sie zufällig erwähnt, wohin sie am vergangenen Freitag nach der Arbeit wollte?«
»Nein, hat sie nicht.«
»Wann haben Sie sie an diesem Tag zum letzten Mal gesehen?«
»Lassen Sie mich nachdenken.« Sie warteten.
»Ich glaube, kurz vor Schichtende.«
»Wann genau war das?«
Helen Daniels hatte ihnen gesagt, sie und Mary hätten das Krankenhaus um kurz nach drei verlassen. Sie wollten das mit ihrer Nachfrage lediglich bestätigen.
»Halb drei?« sagte Hall. »Viertel vor drei?«
»Hat sie das Krankenhaus verlassen, sagen Sie?«
»Nein, nein. Die Schicht endet um drei. Das muß dann kurz vorher gewesen sein.«
»Wo haben Sie sie gesehen?«
»Vor dem Damenumkleideraum. Sie unterhielt sich gerade mit einer Schwester.«
»Mit welcher? Wissen Sie das zufällig noch?«
»Tut mir leid«, sagte Hall. »Sie hatte mir den Rücken zugewandt.«
»Wie viele Schwestern haben in dieser Schicht gearbeitet?«
»Das ist von Tag zu Tag unterschiedlich.«
»Haben Sie eine Liste der Schwestern, die Dienst hatten?«
»Ja, natürlich.«
»Würden Sie sie uns bitte geben? Und auch eine der Ärzte«, sagte Carella. Hall sah ihn an.
»Natürlich auch eine der Ärzte«, sagte er.
Sonny konnte sich einfach keinen Reim darauf machen, warum Carella und sein Partner - er ging davon aus, daß der große schwarze Kerl, der bei ihm war, sein Partner und nicht sein verdammter Chauffeur war - ständig zwischen dem St. Margaret’s Hospital und all diesen Orten hin und her fuhren, die mit Religion zu tun hatten. Am Samstag dieses Kloster oben in Riverhead. Jetzt, um vier Uhr nachmittags, war es diese Kirche hier an der Yarrow, ganz in der Nähe von der Mietskaserne, in der sie vorher gewesen waren. »Our Lady of Flowers« besagten die Buchstaben, die in den Stein über dem Türbogen gemeißelt waren.
Man könnte fast glauben, der verdammte Papst hätte sich erschossen oder so.
Pater Frank Clemente war ein Mann in den Fünfzigern und trug einen schwarzen Baumwollpullover über schwarzen Hosen und einem schwarzen T-Shirt. Er sah zwar einigermaßen aus wie ein Priester, dachte Carella, hätte aber auch als ganz cooler Typ durchgehen können, der in einem Straßencafe an der Jefferson Avenue einen Cappuccino trank. Statt dessen saßen er und die beiden Detectives auf schmiedeeisernen Stühlen, die so schwarz waren wie seine Kleidung und um eine breite steinerne Tischplatte standen, die auf einem steinernen Pilaster ruhte, und nippten Limonade, die der Herr Pfarrer selbst gemacht hatte.
»Mary war letzte Woche zur Messe hier«, sagte er. »Sie …«
»Wann in der letzten Woche?« fragte Carella. »Dienstag abend.«
Drei Tage, bevor sie ermordet wurde, dachte Carella. »Wir haben danach ein Glas getrunken.« Die Flasche Wodka in ihrem Kühlschrank, dachte Brown.
»Sie schien Sorgen zu haben«, sagte Pater Frank. »Sie war normalerweise so fröhlich und ging sehr aus sich heraus, aber an diesem Abend…«
Sie kommt ihm an diesem Dienstag abend, dem 18. August, irgendwie reserviert vor. Fast, als läge eine Last auf ihren Schultern, die sie mit jemandem teilen wollte, wobei sie aber noch zögerte, sie zu enthüllen. Er kennt sie, seit sie im Februar in diese Stadt gezogen ist, eine fromme Nonne, die mindestens einmal, manchmal auch zweimal in der Woche zu seiner Messe kommt. Er weiß von ihrer schwierigen Aufgabe im St. Margaret’s,
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