Big Bad City
verabreichen ihr so auch ihre Medikamente…«
»Was ist ein Peg-Schlauch?« fragte Brown.
»P-E-G«, sagte Hall. »Ein Akronym für perkutane endoskopische Gastrostomie. Die Frau mit der Whipple-Krankheit hat einen Schlauch im Bauch und einen permanenten Katheter in der Brustwand. Sie hat keine Gewalt über ihre Extremitäten, keine Zähne, sie wird am Hinterkopf kahl, denn ganz gleich, wie oft wir sie auf die Seite drehen, sie landet immer wieder auf dem Rücken. Sie ist eigentlich ein NW-Kandidat, aber sie weigert sich, die Genehmigung zu erteilen.«
»Was ist das?« fragte Brown.
»NW? Nicht wiederbeleben. Ein großes Schild am Fuß des Bettes. Im Prinzip bedeutet es: Laßt sie sterben.«
Carella dachte, daß er diesen Job niemals machen würde, und wenn man ihm fünf Millionen Dollar zahlte.
»Einer unserer Patienten hat Prostatakrebs, der in den Knochen metastasiert hat«, sagte Hall. »Ein anderer hat Lungenkrebs, der in den Knochen und im Gehirn metastasiert hat. Wir haben einen zweiseitig Amputierten, er leidet an Inkontinenz des Stuhls, seine Haut nimmt ihre Funktion nicht mehr wahr, und er hat eine permanente Trachearöhre im Hals.«
Nicht für zehn Millionen Dollar, dachte Carella.
»Auf dieser Station geht es nicht sehr lustig zu«, sagte Hall.
Gedankenleser, dachte Carella.
»Mary arbeitete seit sechs Monaten für mich. Sie wurde von einer Sterbeklinik in San Diego hierher versetzt, dort befindet sich ihr Mutterhaus. Ich glaube, sie hat mit ihrer Mutter Oberin dort gesprochen, die sie an die Direktorin verwies. Ich bin froh, daß sie sie hierher geschickt haben, das können Sie mir glauben. Eine religiöse Frau kann in ihrer Arbeit viel mehr aufgehen als der hingebungsvollste Arzt, und so war es auch bei Mary.«
Schnell von Begriff, wie Carella nun mal war, kam er allmählich dahinter, daß »religiöse Frau« der politisch korrekte Ausdruck für Nonne war. Irgendwie gefiel Nonne ihm besser. Genau wie ihm Cop besser gefiel als Polizeibeamter.
»Wir haben hier im St. Margaret’s einhundertundzehn Betten«, sagte Hall. »Ein Personal von vierhundert Mitarbeitern, einschließlich der Ordensschwestern. Das andere Krankenhaus, das Christ’s Mercy führt, ist noch kleiner. Die Regierung kürzt nämlich die Mittel, und etwa siebzig Prozent unserer Patienten bekommen entweder Sozialhilfe oder staatliche Beihilfe zur Deckung der Arzt- und Heilmittelkosten. Die Schwestern können sich so gerade eben über Wasser halten, aber sie tun wirklich alles, um den Armen zu helfen. Letztes Jahr hatte das St. Margaret’s fast zweitausendfünfhundert Aufnahmen. Wir hatten fast zwölfhundert Klinikbesuche pro Monat, neunhundert Patienten in der Notaufnahme, vierhundert Operationen an ambulanten Patienten. Das hier ist ein armes Viertel. Die Leute brauchen uns dringend. Ich werde Mary sehr vermissen, das kann ich Ihnen sagen. Sie war ein absoluter Profi und ein wunderbarer Mensch.«
»Kennen Sie jemanden, der vielleicht anderer Ansicht war?« fragte Carella.
»Keinen einzigen. Ich arbeite mittlerweile seit über zehn Jahren mit Nonnen, und sie sind so verschieden wie alle anderen Menschen auch. Bestimmt sind einige von ihnen genau die kindischen kleinen Wesen oder die strengen Erzieherinnen, als die das Fernsehen sie immer darstellt, die die Köpfe zusammenstecken und kichern oder wütend schnauben, während sie einem Schüler das Lineal über die Knöchel ziehen. Aber ich selbst habe nie eine Nonne kennengelernt, auf die dieses Klischee zutraf. Größtenteils sind sie patente, intelligente Frauen, die nur einen Wesenszug gemeinsam haben - ihre vollständige Hingabe an Gott. Mary hielt ihre Arbeit für eine Art gottgegebenes Geschenk. Die Nonnen sagen übrigens Charisma dazu. Sie meinen damit die durch den Geist Gottes bewirkten Gaben und Befähigungen des Christen in der Gemeinde. Einfacher ausgedrückt die Arbeit, für die Gott sie ausgewählt oder bestimmt hat. Marys Arbeit war besonders schwierig. Sie hat unermüdlich, pflichtbewußt und fröhlich für Gott gearbeitet. Manchmal habe ich gehört, wie sie…«
Seine Stimme brach.
»Manchmal hat sie … den Patienten der Station etwas vorgesungen, sie hatte eine wunderschöne Stimme. Es gab keinen, der sich durch ihre bloße Anwesenheit nicht erhellt und ermutigt fühlte. Alle hier werden sie vermissen.«
»Haben Sie vergangenen Freitag Dienst gehabt, Herr Doktor?« fragte Carella. »Ja, allerdings.«
»Kam Mary Ihnen wie immer vor?«
»Ja, gut gelaunt
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