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Bilder bluten nicht

Bilder bluten nicht

Titel: Bilder bluten nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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auf die Jagd nach den Kindern. Ich näherte mich dem Geschäft. Drinnen machte ein Mann in nicht mehr ganz weißem Kittel einem Kunden die Ware schmackhaft. Einen Augenblick später hörte ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein lautes Geschrei. Hélène hatte also eine ansehnliche Gruppe von jungen Zuschauern um sich versammelt. Gut fünfzehn Gören schrien herum, den Mund voller Bonbons. Ich machte Hélène ein Zeichen und ging in das Geschäft. Der Vogelhändler begleitete gerade seinen Kunden zur Tür. Er warf einen vedutzten Blick auf die Ansammlung von Kindern, kam dann auf mich zu:
    „Sie wünschen, Monsieur?“
    „Sind Sie Peltier?“ fragte ich.
    „Ja, Monsieur.“
    „Mein Name ist Burma. Nestor Burma. Bei mir ist Birikos gestorben. Sie kannten Birikos, nicht wahr?“
    „Ja, Monsieur, aber...“
    „Er hat Ihnen einen Gefallen getan, ja?“
    „Ich verstehe nicht...“
    „Und Sie haben ihm auch einen getan.“
    „Hören Sie, M’sieur...“
    „Sie werden mir zuhören, Peltier. Birikos mußte bei mir ’rumschnüffeln, in meiner Abwesenheit. Konnte mich weder töten noch in seinem Nobelhotel einsperren. Also dachte er, bei Ihnen sei ich bestens aufgehoben. Er hat Sie bestimmt nicht über seine Absichten aufgeklärt, aber das bleibt sich gleich. Er hat Sie gebeten, ihm Ihren Laden oder das Hinterzimmer, ich weiß nicht welchen Teil Ihrer Räumlichkeiten, zur Verfügung zu stellen, um mich dort ablegen zu können. Wissen Sie, mein Lieber, so was mag ich nicht.“ Er wurde blaß. Zwischen der Hautfarbe seines Gesichts und der seines schmierigen Kittels gab es keinen Unterschied. Dieselbe schmuddelige Farbe.
    „Hören Sie“, stöhnte er. „Ja, er brauchte mein Hinterzimmer. Ich konnte es ihm nicht abschlagen. Ich wußte nicht... Ich hab ihn nicht gefragt warum. Ich habe ihm die Schlüssel gegeben. Und hinterher steckten sie in der Tür. Man hätte bei mir einbrechen können. Aber ich wußte nichts... Ich wußte nichts, M’sieur Burma, ich schwöre es Ihnen...“
    „Trotzdem mag ich so was nicht“, sagte ich. „Birikos war ein Schuft. Jedenfalls hat er sich mir gegenüber wie ein Schuft benommen. Vielleicht bist du auch einer? Werweiß? Die Flics wären vielleicht ganz glücklich darüber zu erfahren, daß du Birikos deine Räume überlassen hast, damit er einen gefesselten und geknebelten Privatdetektiv einsperren konnte. Was meinst du, Vogelhändler? Piept’s bei dir?“
    „Sie... Sie werden... die... den... die... Polizei rufen?“ stammelte er.
    „Schmeckt dir nicht besonders, ins Kittchen zu gehen, hm? Und deinen Vögeln, hast du die nach ihrer Meinung gefragt? Beruhige dich, Alter, ich werde die Polente nicht holen. Das ist nicht meine Art. Du hast Birikos nicht bei seiner Durchsuchung geholfen, und du hast den Griechen nicht getötet. Du bist nur die Gepäckaufbewahrung. Die Flics haben dabei nichts zu suchen. Das ist ’ne Sache zwischen uns beiden, alter Geier. Wenn die Flics hier aufkreuzen, dann hast du sie gerufen, nicht ich. Aber wenn du sie rufst, werde ich auspacken... „
    Ich zeigte auf eine große Voliere:
    „Was sind das für Tiere?“
    „Distelfinken, M’sieur. Aber...“
    Plötzlich verstand er. Er wollte sich auf mich stürzen. Ich stieß ihn zur Seite:
    „Ruf die Flics, Peltier...wenn du den Mumm hast!“
    Ich öffnete alle Käfige, einen nach dem andern. Der Laden war vom Rauschen der Flügel erfüllt. Vögel aller Größen flogen in alle Richtungen, stießen gegeneinander, piepten um die Wette, bestimmt mehr erschrocken als alles andere; aber es ging für sie um eine neue Erfahrung: Die Freiheit! Vorwärts, Herrgott nochmal! Keine Gitterstäbe mehr, keine winzigen Stangen, keine Blödmänner, die euch etwas vorflöten oder euch mit ihren dreckigen Fingern ärgern. Ich öffnete die Ladentür sperrangelweit und wedelte mit den Armen. Seht her! Seht her! Wie beim Fotografen! Die Vögel stürzten in einer langen bunten Schlange nach draußen, während die Gören um Hélène auf der anderen Straßenseite vor Freude mit den Füßen trampelten. Ihre Freudenschreie und Bravorufe vermischten sich mit dem Geträller der Tiere, die die frische Luft begrüßten. Peltier stöhnte auf, raufte sich die Haare, dachte aber keinen Augenblick daran, die Flics zu alarmieren. Die Vögel stoben in den Himmel von Paris, durch den ein Sonnenstrahl wie ein Lichtpfeil drang. Peltier stöhnte. In den leeren Käfigen bewegten sich die Schaukeln noch leicht hin und her, und wer sich die

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