Billy Elliot - I will dance
Problem ist, dass die Leute ihre Gefühle nicht vom reinen Wert trennen können. Der Ehering, der steht für die Zeit des Verliebtseins, die Hochzeit, die Kinder – für alles. Aber für einen Juwelier, müssen Sie wissen, ist ein Ring nichts weiter als ein Stück Gold. Für den Besitzer mag er alle Welt wert sein, aber für mich – nun ja. Meine Waage registriert nur das Gewicht, sagen wir mal so. Wie gesagt, Mr Elliot hatte ich schon ein paarmal gesehen. Und ich sah sofort, dass er sich sehr quälte. Wenn ich damals gewusst hätte, dass seine Frau vor ein paar Jahren gestorben war, hätte ich – tja, ich weiß nicht, was ich dann getan hätte. Er war ein Mann, der ziemlich am Ende seiner Kräfte war. Er brauchte das Geld dringend, sehr dringend, das merkte ich sofort. Warum sonst kam er jetzt, um den Ring seiner Frau zu verpfänden? Weihnachten hatte er überstanden, was gewöhnlich der Zeitpunkt war, an dem die Leute den letzten Rest vom Hab und Gut versilberten. Warum am fünften Januar? Irgendwas musste geschehen sein. Er brauchte das Geld wirklich.
»Wie viel?«
»Sind Sie sich sicher, Sir?«
»Ich weiß, was ich will. Wie viel?« Tja. Was konnte ich sagen. Die Leute kommen wegen Geld und nicht, um sich Rat zu holen. Ich nahm den Ring, überprüfte die Prägung, wog ihn. Ging genauso mit den anderen Stücken vor.
»Ich kann Ihnen für alles zusammen fünfundzwanzig Pfund anbieten.«
»Was?«
Was habe ich gesagt? Ich sah, wie ihm die Farbe aus dem Gesicht wich.
»Das ist der Ring meiner Frau«, sagte er. »Sie haben ihn neu gekauft? Gebrauchter Schmuck ist immer weniger wert.«
»Aber die Inflation…«
»Tut mir Leid, Sir. Ich weiß, dass der Ring Ihnen und Ihrer Frau mehr wert ist, als ich Ihnen bieten kann.« Er sah erschrocken aus. Nein, nicht erschrocken. Entsetzt. »Ist Ihnen nicht gut?« fragte ich. »Was?«
»Ist Ihnen nicht gut, Mr Elliot?«
»Doch, doch.« Er blickte hinunter auf das Goldgeklimper. Was sollte ich machen? Es war Ramsch, mehr oder weniger. »Fünfundzwanzig Pfund«, wiederholte er. »Geben Sie dreißig.«
»Mr Elliot. Ich möchte nicht um den Ring Ihrer Frau feilschen. Sicherlich bedeutet der Ihnen sehr viel, aber was die finanzielle Seite betrifft, so sind fünfundzwanzig Pfund schon mehr, als das alles wert ist.«
»Ah ja. Gut.« Er stand da und guckte den Ring an, runzelte die Stirn, als hätte der Ring ihm einen Streich gespielt. »Okay dann.«
»Sie wollen verkaufen?«
»Ah ja.«
»Sind Sie sicher?«
»Ah ja. Ich bin sicher. Geben Sie uns das Geld.« Wenn er um meine Meinung gebeten hätte, hätte ich ihm gesagt, dass mickrige fünfundzwanzig Pfund nicht annähernd das aufwogen, was ihn die Sache kostete, aber wie gesagt, die Leute kommen nicht hierher, um sich Rat zu holen. Bei solchen Sachen ist Rat sowieso das Letzte, was die Leute von einem Pfandleiher wollen. Ich zählte die Geldscheine ab und gab sie ihm. Bevor er ging, versprach ich ihm, den Ring aufzuheben, bis der Streik vorbei war. »Ist ja bloß die Sicherheit für Ihre Anleihe«, erklärte ich ihm. Aber man konnte seinem Gesicht ansehen, dass es für ihn klang, als hätte ich ihm gesagt, sein Schmuck wäre bloß Ramsch und die Liebe zu seiner Frau auch. Tja, schwere Zeiten. Niemand liebt Pfandleiher in solchen Zeiten, aber trotzdem landen irgendwann alle in meinem Laden. Ich hoffe nur, dass das wofür Mr Elliot das Geld brauchte, auch wirklich wichtig war, das ist alles.
Jackie Elliot
Ich weiß nicht, wie ich das Gefühl beschreiben soll. Es war, als hätte man mich geblendet. Als hätte man mir das letzte Quäntchen Licht genommen.
Ah ja, gut, ich weiß, dass das blöde ist. Es war nur ein Ring, aber ich kam mir so hilflos vor. Ich ging aus dem Laden und wusste sofort, was ich tun würde. Und ich wusste, dass es unmöglich war, und ich wusste, ich würde es trotzdem versuchen, mit aller Kraft – für Sarah und für Billy.
Für Tony? An den wagte ich nicht mal zu denken. Der Streik war praktisch am Ende. Das wussten wir alle. Wir hatten nichts mehr, und die Regierung war so unnachgiebig wie eh und je. Der Streik hatte sich nicht so ausgebreitet, wie wir gehofft hatten. Die Öffentlichkeit war uns wohl gesonnen, aber das war alles. Mit Wohlwollen gewinnt man so einen Kampf nicht – wir brauchten echte Unterstützung. Almosen gab es, aber nicht viel darüber hinaus. Jedenfalls nicht genug. Ein paar Monate noch, vielleicht sogar nur noch ein paar Wochen und der Streik würde
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