Binding, Tim
kleinen
Geschenkbox, sechs an der Zahl. Mirandas Zahn, Mirandas Klamotten, Mirandas
Sporttasche.
Mir drehte sich alles. Miranda und der Major. Der Major
und Miranda? Seinetwegen hatte sie Kim abserviert? Ich faltete das Taschentuch
wieder zusammen und steckte es in die Hosentasche. Im Hinterkopf meldete sich
der Gedanke, dass das hier vielleicht das Allerletzte war, was ich von Miranda
je sehen, je berühren würde. Falls ich sie tatsächlich getötet hatte, aus
Versehen natürlich, dann hätte ich wenigstens noch ein kleines bisschen von
ihr, als Andenken. Ich könnte einen Anhänger daraus machen oder den Zahn in ein
Medaillon tun oder so, ihn um den Hals tragen, dicht über dem Herzen.
Als ich nach Hause kam, war Audrey in der Küche und
schälte Kartoffeln. Sie trug noch immer den Hut.
»Ich hab den Grill rausgestellt«, trällerte sie. »Musste
mal dringend geputzt werden.«
Ich ging ins Schlafzimmer und zog die Tasche vom Major
unterm Bett hervor.
»Ich muss noch mal weg«, sagte ich in der Tür mit der Tasche
in der Hand.
»Was hast du da?«
»Die gehört Major Fortingall, weißt du noch, für den du
das Schild gemalt hast? Er hat sie im Wagen liegenlassen. Er braucht sie.«
»Kann das nicht warten?«
»Nein, kann es nicht.«
»Wann bist du zurück?«
Ich hob die Augenbrauen. »Ich weiß nicht, wann ich zurück
bin, Audrey, okay? Inquisition zu Ende?« Ihre Arme sanken herab.
»Hat ja nicht lange angehalten, nicht?«
»Was?«
»Der neue Al. Der, den ich langsam mochte.«
Ich spürte, wie es mir entwich, wie aus einem Reifen.
»Tut mir leid.« Ich legte den Mitgliedsausweis auf den
Tisch, »Bitte schön. Der alte Al hätte gesagt, Hier! Du bist eine unsportliche,
wabbelige, fette Kuh, und ich kann deinen Anblick nicht mehr ertragen. Der
neue Al sagt, Hier! Du bist ein ehemaliges Energiebündel, dessen Akku sich wieder
neu auflädt. Behalt den Hut auf, und heute Abend suche ich im Licht, das du
ausstrahlst, auf allen vieren deine Golfbälle. Zusammen machen wir
Bungeespringen den Nil runter.«
Nummer 32 war größer als die übrigen Häuser auf der Chevening
Road, auf der rechten Seite ein kleiner Anbau, mit einer separaten Tür und
einem Messingschild an der Wand. Ich trat näher und las die Aufschrift. Major
Fortingall, Zahnarzt. Na, das erklärte den Weisheitszahn.
Ich klingelte. Jemand rief etwas. Nichts geschah. Ich klingelte
erneut. Die Tür ging auf.
»Ja?«
Mrs Fortingall war älter als der Major, graue Strähnchen
im kurzgeschnittenen Haar. Sie hatte einen hübsch geformten Kopf, wie bei
einem Reh, eine sportliche Figur mit vorsichtigen Bewegungen und einen Mund,
der eine Spur zu groß war für ihr Gesicht. Sie trug keine Schuhe.
»Al Greenwood, Mrs Fortingall. Wir haben telefoniert.« Ich
schüttelte die Tasche in der Hand. »Ist Ihr Mann vielleicht da? Ich war
zufällig in der Nähe und dachte...«
»Ja, ja. Kommen Sie rein, bitte.«
Sie trat zurück, vergewisserte sich mit einem Schulterblick,
ob das Haus auch vorzeigbar war. »Neil«, rief sie. »Du hast Besuch.«
Ich putzte mir die Füße ab und betrat die Diele. Der übliche
Kram. Kleiner verzierter Spiegel, kleiner Tisch mit einer kleinen Pflanze
drauf. Eine Diele auf dem Weg ins Nirgendwo. Wir warteten. Ich konnte das
Antiseptikum riechen. Ich schätze, das bringen sie ständig mit nach Hause,
diese Ärzte. Sie hatte selbst auch etwas von einer Zahnärztin an sich, ruhig,
praktisch, fast schon ein bisschen anzüglich vor lauter eiserner Tüchtigkeit.
Mir fiel auf, dass ihre Zehennägel an einem Fuß blau und am anderen rot lackiert
waren. Also doch nicht ganz so spießig, wie sie sich gab.
»In letzter Zeit viel laufen gewesen, Mrs Fortingall?«
»Was? Ach so.« Sie lächelte in Erinnerung an unser Gespräch.
»Nicht so oft, wie ich's gern täte.«
»Wir tun viel zu selten das, was wir gern tun, davon bin
ich überzeugt, Mrs Fortingall. Irgendwie kommt einem da das Leben in die Quere.
Davon können Sie bestimmt ein Lied singen, wo Sie die Praxis gleich nebenan
haben.«
Sie nickte, nervös, unsicher, wohin das Gespräch führte.
Sie drehte sich erneut um. »Neil, hast du gehört?« Sie drehte sich wieder zu
mir. »Ist das die Tasche?«
»Ich hoffe, sonst bin ich umsonst hergekommen.« Ich
blickte ihr direkt auf den Mund, als ich das sagte. Sie wusste, worauf ich
eigentlich schaute. »Ah, wenn man vom Teufel spricht.«
Schritte kamen die Treppe heruntergepoltert, gefolgt von
kleinen Boxershorts und blassen Beinen,
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