Binding, Tim
aufdringlich wurde.
»Stress, der Fluch des modernen Zeitalters, was?«, sagte
ich. »Ich meine, sehen Sie sich nur das Dorf an. Wie angespannt die Atmosphäre
im Augenblick ist. Nichts Neues, nehme ich an?«
»Wir tun nach wie vor, was wir können, um alles unter
Kontrolle zu bringen, obwohl der arme Freddy Lanchester seinen ganzen Bestand
keulen musste. Deshalb ist er heute nicht da. Ein Herpesausbruch ist einfach zu
riskant.« Er fing meinen Blick auf. »Aber Torvill und Dean wären sicher, das
garantier ich Ihnen. Wir treffen alle notwendigen Vorsichtsmaßnahmen. Die
würden sich hier ganz bestimmt nichts einfangen.«
»Nein. Sie haben mich missverstanden, Adam. Ich meinte die
Situation im Dorf wegen Miranda Grogan, Sie wissen schon, die junge Frau, die
verschwunden ist. Es hat sich was getan, wie ich höre. Unten in der Bucht.«
»Auf dem Weg zur Bucht«, korrigierte er. »Ich kann Ihnen
keine Einzelheiten erzählen, wie Sie verstehen werden.«
»Natürlich nicht. Gut, schlecht?«
Er zuckte die Achseln. »Wir sind nicht mal sicher, ob es
überhaupt was mit ihr zu tun hat. Bloß ein Kleidungsstück. Wenn sich nicht noch
mehr ergibt, müssen wir die Sache auf sich beruhen lassen. Wir sind ziemlich
sicher, dass sie sich an dem Tag mit jemandem treffen wollte. Mein Gefühl sagt
mir, sie hat sich tatsächlich mit jemandem getroffen, wollte aber keinem was
davon sagen.« Seine Finger spielten mit etwas. Eine neue Anstecknadel. »Mit
jemandem getroffen?«
»Ja. Der Vater kann zwar nichts Genaues sagen, aber er
glaubt, dass ein paar Kleidungsstücke verschwunden sind, obwohl er sich nicht
besonders gut mit der Garderobe von Frauen auskennt, wie die meisten Männer.«
Seine Nase zuckte, dann die rechte Ecke seiner Unterlippe. »Wissen Sie, wir
sind ein sehr unaufmerksames Geschlecht, Alan, sehr unaufmerksam, vor allem,
was unsere eigene Gattung angeht. Warum ist das so?, frage ich mich. Ich
meine, Sie können sicherlich Torvill und Deans Muster beschreiben, oder?
Natürlich können Sie das, bis ins kleinste Detail. Aber sagen Sie mir jetzt mal
ganz spontan, welche Farbe haben die Augen Ihrer Frau?«
»Blutunterlaufen.« Es rutschte mir einfach so raus, die
alten Al-Sprüche. »Nein, Scherz beiseite. Braun, glaube ich. Bläulich braun,
genauer gesagt, mit einem Stich ins Grau.«
»Sehen Sie, was ich meine? Sie sind sich nicht ganz sicher.
Mit den Leuten, die was gesehen haben wollen, ist es genauso. Die Angaben sind
alle sehr nebulös, der gelbe Regenmantel an der Bushaltestelle, der gelbe
Regenmantel auf dem Pfad zur Klippe. Das Weinen.«
»Das Weinen?«
»Ja. Sowohl an der Bushaltestelle als auch auf dem Pfad.
Beide Zeugen sagen aus, sie meinten, die Person weinen gehört zu haben.«
»Dann glauben Sie, es könnte dieselbe Frau sein?«
Er sah mich an. Ich zeigte zu viel Interesse, das war mir
klar, aber ich konnte nicht anders. Ich konnte einfach nicht.
»Wenn es zuerst auf dem Pfad und dann an der Haltestelle
gewesen wäre, würde ich sagen, durchaus möglich, aber andersrum hab ich so
meine Zweifel.«
»Ach ja?«
»Es ist die falsche Reihenfolge, nicht? Einen Spaziergang
machen und anschließend an der Bushaltestelle warten ist eine Sache. An der
Bushaltestelle warten und dann einen Spaziergang machen eine andere. Ersteres
ist plausibel, Letzteres nicht, selbst unter Berücksichtigung aufgewühlter
Emotionen. Und die Zeiten, die die Zeugen genannt haben, deuten auf Letzteres
hin.«
»Es sei denn, sie hat sich lediglich zum Schutz vor dem
Regen untergestellt, vor dem Spaziergang.«
»Wieso sich unterstellen, bis das Wetter noch schlechter
wird? Und was macht Sie so sicher, dass es beides Frauen waren?«
»Nichts. Ich hab bloß angenommen... da die Person geweint
hat...«
»Das ist das Problem. Jeder nimmt irgendwas an. Nimmt an,
das an der Bushaltestelle war eine Frau, nimmt an, das auf dem Klippenpfad war
eine Frau, nimmt an, eine oder beide waren Miranda Grogan, nimmt an, es geht
irgendwas Merkwürdiges vor sich. Wir wissen nicht, wer die Person oder die
Personen waren. Das Weinen hilft auch nicht weiter. Männerstimmen werden unter
solchen Umständen heller. Das an der Bushaltestelle könnte eine Frau gewesen
sein, aber auch ein Mann. Das Gleiche gilt für den Pfad zum Kliff. Es könnte
sein, dass wir es mit zwei Männern oder zwei Frauen zu tun haben oder einem
Mann an der Bushaltestelle und einer Frau auf dem Pfad oder einer Frau an der
Bushaltestelle und einem Mann auf dem Pfad, oder es war
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