Binding, Tim
hatte und
ich mir nicht genau im Klaren darüber war, was ich mit ihr machen sollte, hatte
es für mich oberste Priorität, Mrs Schnüffelnases Tabakdose mit dem richtigen
Stoff zu füllen, randvoll, sie wie in dem Märchen zu füllen, sodass sie niemals
leer wurde, immer da war, damit Mrs Schnüffelnase glücklich lächelte, morgens,
mittags und abends, und außerstande blieb, sich allzu gut auf das Hier und
Zuvor zu besinnen.
»Lust, eine zu rauchen, Mrs Blackstock? Natürlich, nicht
wahr? Lassen Sie sich durch uns nicht stören. Ziehen Sie ordentlich einen
durch, wie der Doc sagen würde.«
Das Erdgeschoss war merkwürdig, kahl, spartanisch, ohne
einen Hauch Komfort. Ein Zimmer bestand nur aus Dielen und Wänden und einer
Bambusmatte in der Mitte, vor dem Fenster ein weißes Rouleau, das
heruntergelassen war. In einem anderen befanden sich ein Porzellanwaschbecken,
ein Wäscheständer aus Holz und eine altmodische Mangel, die über einem Abfluss
im Boden stand. Die Küche war genauso, gnadenlos ungemütlich. An einem Haken
über dem mit Gasflaschen betriebenen billigen Herd hing ein Wok, auf dem Herd
stand ein Kessel. Vor dem Fenster mit Blick in den Garten standen ein Stuhl und
ein kleiner Holztisch, darauf ein Teller mit zwei Essstäbchen. Im hinteren
Teil war eine große Speisekammer, die aber leer war bis auf diese großen
Süßigkeitengläser mit Schraubdeckel, die mit verschiedenen Bohnensorten gefüllt
waren. Ich zählte zwölf Gläser, zwölf Stück und ein Kanister Olivenöl und eine
Schale Zitronen. Das war's. Kein Kühlschrank, keine Spülmaschine, kein
Jamie-Oliver-Kochbuch, keine Edelstahlküchenmaschine und ganz sicher kein
Creme-brúlee-Brenner, wie der, den Audrey sich vor zwei Jahren von mir zu Weihnachten
gewünscht, aber bislang bloß einmal benutzt hatte, um das Ameisennest zu
vernichten. Unter dem Tisch eine Schublade mit einer Garnitur Holzlöffel und
einer Packung grünem Tee. Das ganze Erdgeschoss war wie für jemanden gemacht,
der nicht da war, selbst wenn er es doch war.
Ich ging nach oben. Das Licht kam von einer Stehlampe
hinter dem Sofa, auf das ich sie bugsiert hatte. Ich warf zuerst einen kurzen
Blick in die anderen Räume, die, die ich beim letzten Mal gesehen hatte. Da war
ihr kahles Schlafzimmer und ihr kahles Badezimmer, aber die interessierten
mich nicht. Viel interessanter fand ich die abgeschlossene Tür, in der der
Schlüssel steckte, die Tür, die ich beim letzten Mal nicht hatte öffnen können.
Ich rüttelte an dem Schlüssel, doch er stellte sich stur, wollte sich nicht
bewegen lassen, als wäre er lange Zeit nicht benutzt worden. Ein wenig Geduld
war vonnöten, ein bisschen Gefühl, ein bisschen hautnahe Konzentration auf
gebeugten Knien, die Finger wie Federn bewegen. Mit der Methode tut sich so
manches auf. Drei Minuten später war ich drin. Einen Lichtschalter gab es
nicht, stattdessen hing eine dicke Kordel herunter, wie ein Klingelzug. Ich zog
dran.
Der Raum war größer als ihr Schlafzimmer, größer, enger,
voller; rote Tapete, dunkel wie vergossenes Blut, schwere, lange Brokatvorhänge
mittenmang vorm Fenster, wie Ausstellungsstücke, ein großes Doppelbett mit
einem reich verzierten Kopfbrett, nackt hüpfende Tänzerinnen, lauter Brüste und
Trauben, und darunter eine Steppdecke aus zusammengenähten
Rockkonzert-T-Shirts, die Stones, Pink Floyd, Grateful Dead, sogar eins von den
Beatles im Shea-Stadion, wo vor lauter Gekreische kein Mensch auch nur einen
Ton von der Musik hören konnte. Am Fuße des Bettes stand eine Kommode an der
Wand, glänzend wie Mahagoni, die Vorderseite wellig wie gekräuselter Sand und
obendrauf ein Foto von einem Mann, demselben, den ich auf der Treppe gesehen
hatte, nur diesmal hielt er Alice Blackstock in den Armen, keine goldene
Schallplatte, eine jüngere Alice Blackstock, Mitte vierzig, mit Perlenkette,
lächelnd, als würde die Sonne jeden einzelnen Tag nur für sie aufgehen. Duncan,
vermutete ich. Der Mann, der nicht da war. Das Haus war voll von ihnen.
Ich zog die Schubladen auf, rechnete mit Kleidung. Aber es
war nicht ihre, sondern seine, Paul-Smith-Hemden und Aquascutum-Kaschmirpullover,
elegante Sachen von Turnbull & Asser, grellbunter Hawaii-Plunder,
Seidensocken, goldene Manschettenknöpfe, silberne Krawattennadeln und in der
untersten Schublade ein weißer Leinenanzug mit einem gelben Seidentaschentuch
in der Brusttasche, die Ärmel vorne gefaltet wie bei einem Leichnam, alles in
Seidenpapier eingepackt, dazwischen
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