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Birne sucht Helene

Birne sucht Helene

Titel: Birne sucht Helene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Mondschein?«
    »AchRomantik, so was gab’s damals noch gar nicht. Wir sind einmal nach Köln ins Kino und danach Russisch Ei essen gegangen. Das war schön. Und tanzen konnte dein Opa, und wie der tanzen konnte! Wie ein junger Gott, Jung, so hat der getanzt.«
    »Tanzen ist nicht so mein Ding, ich bin nicht mal in die Tanzschule gegangen.«
    »Ja, Jung, da machste nix. Biste denn ein guter Küsser?«
    Hatte ihn seine Oma das gerade wirklich gefragt?
    »Hat sich zumindest noch keine beschwert.«
    »Das tun Frauen auch nicht. Wie küsst du denn?«
    Sollte er das jetzt etwa vormachen ? Paul zuckte stattdessen mit den Schultern.
    »Musst mit Gefühl küssen, Jung. Nicht so, als würdeste einen Napf auslecken. Machen manche Männer.«
    Themenwechsel! Schnell!
    »Und wie war es bei Mama und Papa?«
    »Ja, das !«
    »Ja, was?«
    »Deine Mutter war ja das erste italienische Mädchen hier im Ort und schön noch dazu. Kannst dir vorstellen, wie die jungen Burschen hinter der her waren. Auch dein Vater. Na ja, der hat eh nix anbrennen lassen.«
    Zu viel Information, viel zu viel Information!
    »Aber bei denen war’s romantisch?«
    »Ja, Jung, ich komm ja dazu. Eine alte Frau ist kein D-Zug.«
    »Bist ja gar keine alte Frau, Oma.«
    »Du bist mir ein Charmeur, schon als kleiner Jung biste so gewesen. Noch einen Kaffee? Ich brauch jetzt einen. Hab so einen trockenen Mund vom ganzen Reden.«
    »Für mich auch einen. Ruhig wieder schwarz.«
    »Mit Milch und Zucker?«
    »Nein, schwarz!«
    »Nehmich auch immer. Drei ist eine gute Zahl.«
    Wie Oma Gerti »Drei« verstehen konnte, wenn er »Schwarz« sagte, war Paul ein Rätsel. Das war ja nicht mal derselbe Wortstamm! Wenn sie ihm genau gegenüber saß und seine Lippenbewegungen sah, verstand sie alles, aber kaum drehte sie ihm den Rücken zu, wurde das Gespräch zur Raterunde. Paul sagte deshalb nichts mehr, bis sie ihm wieder ins Gesicht schaute.
    »Wie war das denn jetzt bei Mama und Papa?«
    »Also deine Mutter, die kam ja aus dem Nachbardorf. Da haben die Burschen darauf geschaut, dass keiner von außerhalb was mit ihren Mädchen hatte. Dein Vater ist aber ganz frech auf denen ihr Dorffest, hat deine Mutter angesprochen und mit ihr eine heiße Sohle aufs Parkett gelegt. Danach haben ihn die aus Oberbohnrath verprügelt. Das hat deine Mutter beeindruckt.«
    »Ich muss mich also nur ruck, zuck verprügeln lassen? Klasse, danke für den Rat, Oma.«
    Sie hielt seine Hand, mit unerwarteter Kraft. »Da wusste deine Mutter, dass er es ernst meint, dass ihm alles andere egal war. Und dein Vater wusste, dass er für diese schöne Italienerin alles geben würde. Da wusste er es. Und wenn dein …«
    » … Vater sich einmal was in den dicken Kopf gesetzt hat, dann hat er es auch bekommen. Jaja, weiß ich doch, Oma.«
    »Das haste von ihm geerbt. Und, was meinste jetzt? Isset denn die Richtige?«
    Paul brauchte nicht zu überlegen. Es war ihm eigentlich die ganze Zeit klar gewesen, von dem Moment an, als Eli erstmals einen Wagen bei ihm angemeldet hatte, sogar noch bevor sie ein Wort gesagt hatte. »Oma, ich würde mich für sie von den Jungs aus Oberbohnrath verprügeln lassen.«
    Plötzlich klopfte es an der Tür, und ohne eine Antwort abzuwarten, wurde sie geöffnet. Der alte Mann, den Paul vorhin gesehen hatte, lugte herein.
    »Habeben noch was vergessen, Gerdamarie. Nächste Woche selbe Zeit?« Erst dann bemerkte er Paul. »Dann, äh, entlüfte ich die anderen Heizungen.«
    Oma Gerti wurde rot – und sah dadurch wieder aus wie ein junges Mädchen.
    Eli hatte immer noch einen Schlüssel vom Haus ihrer Eltern, obwohl sie schon seit Jahren nicht mehr hier lebte. Es fühlte sich gut an, kommen und gehen zu können, wann man wollte. Ihr altes Zu Hause stand ihr immer offen – und fühlte sich noch heute mehr wie Heimat an als ihre 54 m2-Wohnung in Köln. Weil sich hier so gut wie nichts verändert hatte. Eine neue Polstergarnitur hatte es vor fünf Jahren gegeben, doch die sah fast haargenau aus wie die alte, in den Lampen hingen jetzt Energiesparbirnen, das alte graue Bundespost-Telefon mit Stoffbezug wurde gegen ein schwarzes Schnurloses eingetauscht, und in der Küche gab es eine Mikrowelle. Aber sonst? Wie in Aspik eingelegt. Es war ihre begehbare Kindheit.
    Da ihre Mutter nicht im Wohnzimmer saß, war sie wahrscheinlich oben. Vielleicht schlief sie gerade. Leise ging Eli die hölzernen Stufen hinauf. Das Zimmer ihrer Mutter lag am Ende des Flures, doch als sie hineingehen

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