Birne sucht Helene
wollte, kam ihre Schwester heraus.
»Mama hat sich was hingelegt«, sagte Katharina.
Sie sah wieder aus, als liefe sie gleich in einer Pariser Modenschau. Katharina war gertenschlank, ihre Nase elegant, die Wangenknochen markant und ihre Haare wallend. Stets trug sie hochhackige Schuhe, die sie noch größer wirken ließen. Eli kam sich auf der Stelle wie Aschenbrödel vor, wie die kleine, unscheinbare Schwester. Dabei war sie doch um zwei Jahre älter. Doch Katharina war immer die Größere gewesen, hatte immer mehr Freunde gehabt und bessere Noten nach Hause gebracht. Das hatte Eli wahnsinnig gemacht. Und trotzdem liebte sie Katharina. Dochihre Beziehung war paradox. Je weiter Katharina entfernt war – Mailand stellte einen guten Anfang dar –, desto größer war Elis Liebe zu ihr.
Jetzt betrug der Abstand gerade einmal 1 , 50 Meter.
»Lässt du dich auch endlich blicken!«, sagte Katharina. »Mama fragt schon immer nach dir.«
Und das war der Grund, warum Eli nicht früher vorbeigekommen war. Vorhaltungen von der kleinen Schwester waren schlimmer als das »Frühlingsfest der Volksmusik« mit Florian Silbereisen.
Eli ging in ihr altes Kinderzimmer. Ihre Plüschtiere saßen alle noch ordentlich auf der Bettdecke, und an der Wand hing immer noch der Bravo-Starschnitt von U 2 . Den hatte sie so mikromillimetergenau geklebt, dass die Übergänge kaum zu sehen waren. Jungs mochten Radios zusammenlöten – aber was war das schon gegen einen lebensgroßen Bono?
»Gut siehst du aus«, sagte Eli. Das wollte ihre Schwester schließlich immer hören.
»Klar, sehe ich gut aus. Im Gegensatz zu dir tue ich ja auch was dafür.«
Es war wieder genau wie früher. Eli warf sich aufs Bett.
»Wie lang willst du bleiben?«
»Willst du mich schon wieder loswerden?« Katharina schob den alten Schreibtischstuhl beiseite und blickte hinaus in den Garten. »Mami hat erzählt, ihr hättet jetzt ein gutes Verhältnis zueinander. Wie kommt’s?«
»Du warst immer ihre Lieblingstochter und wirst das auch immer bleiben, kein Grund zur Eifersucht.«
Katharina setzte sich neben Eli aufs Bett. »Irgendwas ist anders an dir.«
»Ich reg mich weniger über dich auf, was? Da macht es nur halb so viel Spaß mich aufzuziehen.«
Ihre Schwester schob eine von Elis roten Strähnen aus dem Gesicht,dann kiekste sie plötzlich vor Freude: »Bist du etwa verliebt?«
»Was? Woran sieht man das? Steht das auf meiner Stirn?«
»Also stimmt es! Eine Schwester spürt so was. Du hast so ein Glänzen in den Augen – und das ist sicher nicht da, weil ich wieder im Land bin.«
»Nee, sicher nicht.«
»Erzähl, ich will alles wissen!«
»Du zuerst. Berichte von den italienischen Männern.«
»Bist neidisch, was?« Sie stupste Eli auf die Nase. »So einer würde dir auch gefallen.« Ihre Stimme wurde tiefer. »Finalmente! La donna a destra nella mia biancheria da letto!«
»Was heißt das?«
»Frag besser nicht. Und wenn du nicht willst, dass man dir nachpfeift, geh niemals solo durch eine italienische Stadt. Die Männer sind wie lauernde Hyänen. Aber mein Massimo ist anders! Er hat sich jetzt eine eigene Boutique in der Via Monte Napoleone eröffnet. Da sind auch Prada, Gucci, Armani oder Versace. Demnächst will er einen meiner Entwürfe dort präsentieren.«
Da schienen sich Karriere und Liebe ja aufs Wunderbarste zu vereinen.
»Gratuliere.«
»Jetzt du!« Eli spürte Katharinas Blick auf ihrer Kleidung. Nicht unbedingt Mailänder Schick. Und jetzt fühlte es sich an, als würde sie einen Kartoffelsack tragen. Aber sie würde sich nichts anmerken lassen.
»Ach, da gibt es eigentlich nichts zu erzählen.« Und doch redete Eli die nächste halbe Stunde fast ununterbrochen von Paul. Vor allem von dem Treffen, bei dem er sie einfach so geküsst hatte, und wie gut sich dieser Kuss angefühlt hatte, dass sie heute noch daran dachte, wenn sie im Bett lag und nicht einschlafen konnte, trotz Schäfchen zählen und einer großen Tasse heißer Milchmit Honig. Und Eli erzählte, wie sie wegen des verlorenen Führerscheins zu ihm gekommen war, dass herauskam, wie gut Paul kochen konnte, und dass er unglaublich nett lächelte, ein bisschen schüchtern, immer Richtung Boden blickend, und dass seine Augen so blau waren wie das Meer bei Malta, wo sie mit der Familie vor Jahren Urlaub gemacht hatten.
»Aber eigentlich«, schloss Eli, »weiß ich gar nichts über ihn.«
Katharina gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Blödsinn, Dummerchen. Nach dem,
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