Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
war schon sechs Wochen vorher in Nepal, um sich zu akklimatisieren, und an den Abenden hat er vom Basislager aus mit mir und auch mit Karel telefoniert. Jozef war es, der Karel gebeten hat, uns Gesellschaft zu leisten.
Ich war erst dagegen – ich dachte, ich wollte in der Woche des Aufstiegs lieber für mich sein. Aber Jozef sagte: Es wird euch beiden gut tun. Sag Karel nicht, dass ich es dir gesagt habe, aber zwischen ihm und Marja kriselt es. Ihr zwei könnt euch umeinander Sorgen machen statt um mich.
Karel und ich mögen uns gern, immer schon. Er ist Professor für Kunstgeschichte, und obwohl er so gut weiß wie ich, dass aus mir nie eine große Malerin wird, versteht er doch als einer der wenigen, dass das, was ich tue, einen Wert hat. Er hat selbst gemalt, als er jung war. Wir sind die einzigen Künstler in Jozefs Familie, und miteinander reden zu können erleichtert uns beide.
Und letztlich hatte Jozef ganz Recht – ihn dazuhaben, tut uns gut. Stane liebt ihn heiß und innig. Karel hat seinen Laptop mitgebracht, so dass wir uns die Expeditions-Website anschauen können, und er hat Stane gezeigt, wie man mit ein paar von den anderen Programmen arbeitet. Und alle zwei Sekunden bietet er an, im Haushalt mitzuhelfen. Auf seltsame Art ist im Haus mehr Leben, seit Jozef weg ist; alle achten wir stärker darauf, wer wann wohin geht, um was zu tun. Ich gehe malen, sage ich jetzt immer. Wenn Jozef da ist? Dann gehe ich einfach.
Karel ist so bemüht um mich und Stane, dass er gar nicht über Marja gesprochen hat, noch nicht. Ich habe nicht nachgefragt – abgesehen von den normalen Höflichkeitsfragen -, aber wie es scheint, hatte Jozef auch darin Recht. Karel wirkt bedrückt, bedrückt über die Sorge um seinen Bruder hinaus. Er lässt die Schultern hängen und seufzt tiefe Altmännerseufzer. Er sieht aus, als hätte er seit einer Ewigkeit nicht mehr ordentlich geschlafen oder gegessen. Ich versuche ihm gute Sachen zu kochen, aber was ich sonst tun kann, weiß ich nicht.
Ich muss gestehen, auf verstohlene Weise genieße ich es, mich um Karel zu sorgen. Er ist ein so viel dankbareres Objekt der Sorge als Jozef.
Will Stane eigentlich auch schon klettern?, fragt Karel plötzlich.
Ich beginne damit, die Kartoffeln für das Zlikrofi zu waschen. Diese Diskussion haben Jozef und ich schon mehrmals geführt. Stane kommt jetzt in das Alter, wo er unbedingt dasselbe werden will wie sein Vater: ein berühmter Bergsteiger, den man aus der Fernsehwerbung kennt. Ich habe es verboten. Jozef hat Verstand genug, mir darin beizupflichten, aber er sagt auch: Du musst ihn seine eigenen Entscheidungen treffen lassen. Du kannst nein sagen, aber damit treibst du ihn unter Umständen erst recht den Berg hoch.
Er fragt manchmal, sage ich Karel. Aber wir erlauben es nicht.
Und Jozef macht da mit?
Jozef liebt seinen Sohn. Er will nicht, dass er sein Leben aufs Spiel setzt.
Karel hebt zu einer Erwiderung an, aber in dem Moment steckt Stane den Kopf zur Tür herein und ruft, dass jemand da ist. Noch während er es sagt, höre ich es selber: ein Auto, das die Straße entlangkommt. Wo wir wohnen, sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht; wir haben zwar Nachbarn – hauptsächlich Stadtleute in ihren Ferienhäusern -, aber Autos hören wir nur selten. Ich schaue aus dem Küchenfenster und sehe einen Kleinbus vor unserem Haus bremsen, eine Wolke Straßenstaub hinter sich, der langsam durch die Luft wallt. Auf die Wagentür aufgemalt ist das 24ur -Logo.
Reporter, sage ich.
Karel knallt seine Tasse angeekelt auf den Tisch. Ich rede mit ihnen, bietet er an.
Nein, das kann ich schon.
Lass es mich machen. Bitte. Du bist zu ruppig.
Die Nachrichtenleute rücken jeden zweiten Tag an, seit Jozef den Aufstieg begonnen hat, vor allem 24ur. Jozefs vier letzte Touren, alle solo, haben aus ihm einen Nationalhelden gemacht – der beste Bergsteiger nicht nur Sloweniens, sondern vielleicht der Welt. Zu Hugos Aufgaben gehört es, Pressemitteilungen herauszuschicken. Das heißt, die Nachrichtenleute wissen auch von dem ausgefallenen Funkgerät.
Karel nachzugeben ist diesmal eine Erleichterung. Danke, sage ich.
Er lächelt mich an, ganz kurz nur, und dann geht er hinaus, um der Nation zu verkünden, dass Jozefs Familie in dieser äu ßerst schwierigen Zeit ihre Ruhe wünscht.
Nach dem Abendessen spielen wir Spiele; erst übt Karel mit Stane Schach, und dann spielen wir drei eine Zeitlang Stöckchenziehen, bis ich ausgeschieden bin. Der Junge will
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