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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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erwartungsvoll an. Das junge Tier war nicht größer als ein Brötchen, es hatte hängende Ohren und ein hellbraunes, etwas schlammverkrustetes Fell.
    Pearl stützte ihr Kinn auf eine Hand und betrachtete den mit eingeritzten Initialen und Namen übersäten Holztresen. Ihr wurde klar, dass sie mit der Band so nicht weitermachen konnte; dieses Spiel weiterzuspielen ergab keinen Sinn mehr. Alles, was sie in den vergangenen Monaten getan hatte, jede Entscheidung, die sie getroffen hatte, all die Risiken, die sie auf sich genommen hatte, die Songs, die sie gespielt hatte, jeder Schritt durch das Sumpfland und die Urwälder waren auf Nadzab ausgerichtet, auf ihn. Es kam ihr vor wie ein wochenlanger Marathonlauf, bei dem das Ziel kurz vor Erreichen verschwunden war.
    Die Schicht des Verkäufers war vorüber, und er hängte seine Schürze an einen Nagel. Ein anderer übernahm den Job, ein Gefreiter mit tintenschwarzer Haut und kleinen Händen wie Vogelkrallen. Er begann damit, den Tresen abzuscheuern, als wolle er jeden kleinen Riss und Kratzer in dem Holz verschwinden lassen. Entmutigt schlug Pearl die Beine übereinander, wobei es ihr mittlerweile egal war, ob diese Haltung möglicherweise zu feminin wirkte und einen Hinweis auf ihre wahre Identität geben könnte. Entlarvt zu werden wäre nach dieser großen Enttäuschung sogar eine Erleichterung. Je mehr sie trank, desto besser gefiel ihr der Gedanke. Es würde sicherlich unangenehme Befragungen und eine Untersuchung geben – vielleicht würde man sie sogar eine Weile einsperren –, aber irgendwann bekam sie sicher eine Rückfahrkarte nach Sydney spendiert und konnte endlich wieder bequem in ihrem eigenen Bett schlafen. Vielleicht könnte sie sogar ihre Stelle in der Damenkapelle im Trocadero wiederhaben. Natürlich würde der Fall Aufsehen erregen und in die Zeitungen kommen. Und schließlich war da noch ihre Mutter. Und Hector. Wahrscheinlich würden sie versuchen, sie ins Krankenhaus zu bringen, oder sogar in eine Anstalt. Doch nach allem, was sie in letzter Zeit durchgemacht hatte, hatte sogar der Gedanke an einen Aufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtung einiges für sich. Sie würde mit Medikamenten und mit Essen versorgt werden, es gab einen gepflegten Garten, und sie konnte sich die Zeit mit Fingermalen vertreiben. Dann müsste sie nicht mehr vor Granaten in Deckung gehen, nicht mehr miterleben, wie Menschen vor ihren Augen starben, ihre Brüste nicht mehr verstecken und keine Freunde mehr betrauern. Alles wäre so ruhig und friedlich wie in einer Kirche. Alles war besser, als unter einem abstürzenden Flugzeug begraben zu werden wie Blue oder sich nach einem Mann zu sehnen, den sie niemals finden würde. James hatte wahrscheinlich recht: Selbst wenn es ihr gelingen würde, ihn aufzuspüren, und sie zu zw eit irgendwie nach Australien zurückkehren würden, könn ten sie wahrscheinlich dennoch nicht auf die Dauer als Paar zusammenleben. Die Schwierigkeiten wären für sie beide zu groß.
    Sie stellte die Füße auf die Quersprosse des Hockers und seufzte tief. Als Charlie einen Barhocker neben sie heranzog und Mineralwasser bestellte, war ihr das so gleichgültig, dass sie ihn nicht einmal kurz grüßte.
    »Tja, und wo ist er jetzt?«
    Pearl zuckte die Achseln.
    Der Welpe stand auf und schnupperte an Pearls Stiefeln. Sein Schwanz stellte sich in einem merkwürdigen Winkel auf, als wolle er über seinen Kopf hinweg zur linken Ecke des Raums hindeuten.
    Charlie schlug vor, dass sie das Kostüm auszog, bevor jemand auf den Gedanken kam, sie könnte eine Frau sein.
    »Ich glaube, ich werde mich selbst offenbaren.« Pearl trank ihr Glas aus. »Und dann fahre ich nach Hause.«
    »Du kannst uns jetzt nicht im Stich lassen. Wir sind eine Musikgruppe, ein Team. Wir brauchen dich.«
    Sie stützte die Arme auf den Tresen und legte ihren Kopf gegen die gefalteten Hände und stöhnte. Der Welpe begann, an ihren Schnürsenkeln zu nagen.
    »Was ist denn nun mit James?«, wiederholte Charlie.
    »James ist verschwunden. Angeblich ist er gestern desertiert.« Sie beugte sich hinunter und hob den Welpen auf ihren Schoß, wo er sich zusammenrollte. Er roch ein bisschen merkwürdig, nach faulendem Obst. Er winselte kurz und stupste seine Nase in ihren Bauch.
    »Ich habe den Job auch nicht einfach so hingeschmissen, nachdem Blue gestorben ist«, meinte Charlie.
    »Weil du ihn nicht so einfach hinschmeißen kannst«, erwiderte Pearl. »Schließlich bist du zum Militärdienst

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