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Bis ans Ende des Horizonts

Bis ans Ende des Horizonts

Titel: Bis ans Ende des Horizonts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Sayer
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ausgedacht.«
    »Gar nicht!«, insistierte sie. »Du kannst meine Mutter danach fragen.«
    »Herzchen, hast du jetzt vor, mich zu dir mit nach Hause zu nehmen?«
    »Nur wenn du brav bist«, neckte sie ihn. Sie führte ihn auf die Hauptallee, die mit chinesischen Laternen und vielen Fahnen geschmückt war. Er blieb stehen, um einem Feuerschlucker zuzusehen, der sich eine Neonröhre in den Rachen steckte. Als dessen Assistent die Neonröhre einschaltete, konnte man wie auf einem Röntgenbild die Rippen und die oberen inneren Organe des Mannes erkennen.
    »Oje«, murmelte James, »besser, du kannst nicht sehen, wie es in mir drinnen ausschaut.«
    Pearl klopfte auf seinen flachen Bauch. »Da sind nur Fish and Chips.«
    In den Schießbuden waren die aufgereihten Watschelenten durch die Köpfe japanischer Soldaten aus Blech ersetzt worden, die gelb angepinselt und schon an vielen Stellen ausgezackt und durchlöchert waren. James legte an und schoss, und Sekunden später hielt Pearl den Gewinn, eine glänzende Stoffpuppe, in der Hand. In der Vergnügungsarkade stießen sie auf einen Automaten, der Elektroschocks austeilte. Pearl griff nach James’ Hand, warf einen Sixpence hinein und nahm den Metallgriff in die Hand. Ein Stromstoß durchzuckte ihre Glieder und schoss an ihren Fingern heraus in die von James; es war ein gemeinsames Schlottern und Zittern, und das Gefühl versetzte die beiden dermaßen in Hochstimmung, dass sie in unkontrolliertes, abgehacktes Lachen ausbrachen. Beim Blick in den Zerrspiegel bemerkte Pearl ihr eingerissenes Kleid und die kaputten Strümpfe, und als sie an einem Zuckerwattestand vorbeikamen, ging sie auf die Rückseite, sodass sie nicht gesehen werden konnte, und kickte ihre Schuhe von den Füßen. James folgte ihr neugierig. Sie zwinkerte ihm zu, griff unter ihren Rock, rollte die Strümpfe von den Beinen und zog sie von den Füßen.
    »Ein Souvenir aus Sydney«, sagte sie und drückte ihm die zusammengeknüllten Seidenfetzen in die Hand.
    Überrascht betrachtete er das merkwürdige Geschenk einen Moment lang, schüttelte den Kopf und stopfte die Strümpfe dann in seine Hosentasche. Sie hakte sich bei ihm unter, und als der pickelgesichtige Zuckerwatteverkäufer nachschauen kam, was die beiden hinter seinem Stand trieben, zog James sie schnell weg.
    Anschließend fuhren sie mit der Geisterbahn und setzten sich in den letzten Wagen. Die Sitze waren so eng, dass sich ihre Beine berührten. Pearl hielt den Atem an. Der kleine Zug brauste in die Finsternis, sogleich schoss eine gewaltige mechanische Fledermaus von oben auf sie herab; Pearl duckte sich weg und schmiegte sich an James. Schaurige Geräusche drangen von den Wänden. Wie aus dem Nichts tauchte ein Skelett auf und klapperte mit seinen Knochen. Die gruseligen Fratzen, die unwirklichen Heultöne und das Zuschlagen von Sargdeckeln ließen Pearl das Herz bis zum Hals schlagen. Im grünlichen Lichtschein, der aus dem Maul eines Werwolfs drang, drehte sich James ihr zu, presste seine Lippen auf ihren Mund, dann fand seine Zunge die ihre, und mit seinen Händen erkundete er die Umrisse ihres Körpers. Sie konnte den zitronigen Duft seiner Haarcreme beinahe schmecken. Ein Vampir mit blutigen Eckzähnen tauchte unmittelbar vor ihnen auf und verschwand genauso schnell wieder, als der Geisterbahnzug an einer Haarnadelkurve abrupt die Richtung änderte. James drückte sein Gesicht an ihre Brüste und strich ihr mit seinem Finger an Schultern und Nacken entlang. Diese Berührung war sanft wie ein Atemhauch, wie ein Sonnenstrahl.
    Dann rumpelte der Wagen durch eine Reihe von Klapptüren wieder ins Freie, und sie lösten sich voneinander. Als er langsam zum Stehen kam, fühlte sich Pearl etwas schwindlig und leicht erhitzt. Natürlich hatte sie von Anfang an gespürt, dass James etwas ganz Besonderes an sich hatte, aber sie hatte nicht erwartet, dass ihr Körper so rasch auf ihn reagieren würde. Es war, als hätte ihr ganzes Selbst von sich aus eine Entscheidung getroffen, ohne überhaupt nach ihren Gefühlen zu fragen – vielleicht waren diese beiden Dinge auch ein und dasselbe, nur hatte sie das bisher nicht so wahrgenommen. Das Einzige, was sie nun mit Gewissheit wusste, war, dass dieses Gefühl ihr die Beine hochkroch, über die Hüften wanderte und ihr den Rücken entlanglief – und, was immer es sein mochte, sie wollte unbedingt mehr davon spüren.
    »He, Mann«, rief James dem Aufseher zu, der die Wagentüren für die Passagiere öffnete,

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