Bis ans Ende des Horizonts
eingefallen, er hatte eine dreieckige Narbe am Kinn –, doch zweifellos war er es.
»Meine Güte, Martin!«, rief James. »Wo ist Pearl?«
Er verwechselte sie mit ihrem Bruder. Sie stieß einen Schrei aus und ließ sich – als wollte sie sich vergewissern, dass er es tatsächlich war – gegen seine Brust fallen und umarmte ihn.
James drehte sich weg und sah sie völlig überrascht an. Mit einem Mal verschwand die ganze Verärgerung aus seiner Miene, und er starrte sie dermaßen ungläubig an, dass sie einen Moment lang hätte schwören können, ihm sei diese unverhoffte Begegnung unangenehm.
»Geh heim auf deine Baumwollfelder«, rief ein Mann mit amerikanischem Südstaatenakzent.
James duckte sich, denn einige GI s warfen Lutscher nach ihm. »He, fick dich!«, schrie er zurück.
Zwei der GI s machten einen Satz nach vorne auf ihn zu. Einer hatte die Colaflasche in seiner Hand erhoben und schrie: »Das steck ich dir in den Hintern, Bimbo!«, und ohne weiter nachzudenken, schleuderte Pearl einem von den beiden ihren Instrumentenkasten ins Gesicht, und James lieferte sich mit dem anderen einen kurzen Boxkampf und verpasste ihm einige Schläge. Die Umstehenden brüllten los, die Militärpolizisten schrien Befehle und versuchten, die Streithähne auseinanderzubringen. Pearl drosch immer wieder mit dem Instrumentenkasten auf den gleichen Mann ein. Er torkelte zurück und spuckte etwas Blut. Dann hielt ein Einsatzwagen am Bordstein, zwei Polizisten in Zivil sprangen heraus und zerrten die beiden weg.
James wehrte sich gegen den Beamten, der ihm Handschellen anlegen wollte. »Was zum Teufel fällt Ihnen ein?«
»Immer mit der Ruhe, Junge.« Das Schloss rastete ein. »Mach es dir lieber nicht noch schwerer.«
»Sie haben mich angegriffen!«
»Jawohl, das haben sie!«, bestätigte Pearl.
»Negern ist der Zutritt nicht gestattet«, knurrte jemand. Pearl ballte ihre Faust und verpasste ihm einen Hieb in den Bauch. Er klappte nach vorn und gab einen Laut von sich wie ein winselnder Hund. Sie wollte ihn noch einmal schlagen, aber einer der Polizisten umklammerte ihre Arme, um das zu verhindern. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, wurden James und sie abgeführt und in den Einsatzwagen verfrachtet. Die Soldaten auf dem Gehweg jubelten, klatschten Beifall und verlangten eine Zugabe.
Die Türen des Wagens wurden zugeschlagen.
»Mein Liebling«, flüsterte James, »wo bist du die ganze Zeit gewesen? Ich habe schon seit Tagen versucht, dich ausfindig zu machen.«
»Mich?« Sie lehnte sich gegen den verbeulten Saxofonkasten. »Wo bist du seinerzeit gewesen? Ich hatte alle meine Sachen gepackt und habe auf dich gewartet, aber du bist nicht gekommen.«
Der Motor wurde angelassen, und der Wagen rumpelte die Straße entlang.
»Hat Martin dir nichts gesagt?«, fragte er in scharfem Ton. »Ich habe ihn dringend gebeten, mit dir zu sprechen.«
»Warum? Hattest du nicht den Mumm, es mir selbst zu sagen?«
»Nein, verdammt. Oben in Queensland.«
»Was meinst du überhaupt?«
»Ich habe doch den verdammten Bus für ihn und seine Truppe repariert. Ich sagte ihm, er könnte mir dafür einen Gefallen tun, indem er dir eine Nachricht überbringt, dass ich unterwegs zu dir bin. Ich konnte leider nicht früher kommen, Liebling. Ich treibe mich schon seit Freitag meistens draußen vor dem Trocadero herum, weil ich hoffte, ich könnte dich abpassen.«
Er sprach so hastig, dass Pearl Mühe hatte, alles mitzubekommen. »Hast du meine Briefe nicht bekommen?«
»Nein!«
»Ich habe sie ans Trocadero adressiert.«
»Du hast mir Briefe geschickt?«
»Drei.«
Der Polizeiwagen verlangsamte seine Fahrt und bog nach links ab.
»Ich arbeite dort schon lange nicht mehr. Ich …« Sie kauerte sich zusammen und zog die Knie an die Brust. Die Kette seiner Handschellen rasselte, und plötzlich spürte sie, wie seine Finger über ihren Kopf strichen, und ein Schauer durchrieselte ihren ganzen Körper.
»Ich wollte sie dir nicht nach Hause schicken«, erklärte er, »da das deinen Leuten sicher nicht recht gewesen wäre. Und inzwischen bist du ja auch verlobt.«
Der Wagen schlingerte nach rechts, und eine Hupe dröhnte laut. Daraufhin hörte sie, wie jemand »Papiere! Papiere!« schrie. Tief aus ihrem Innern stieg ein Schluchzen auf, und sie klammerte sich an James’ Gürtel fest, schlüpfte mit Kopf und Schultern unter seinen zusammengeketteten Armen hindurch und drückte sich fest an ihn.
»Mein Liebling«, brummte er, »das hatte doch
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