Bis auf die Haut
die Palme und amüsiert sich köstlich, wenn du tobst.
24. Lektion Die Hauptursachen weiblicher Kränklichkeit sind Stillseyn, Bewegungsarmuth und das Einschnüren des Leibes; lernet daher singen, tanzen und traget niemals ein enges Korsett
Der Himmel hängt tief. Die Luft riecht nach Meer. Du brauchst nicht einmal einen Sonnenschirm in deinem Liegestuhl neben dem Pool. Der Wind, der aus der Wüste kommt, zerwühlt deine
Herald Tribune
zu einem chaotischen Papiersalat, du gibst deine Lektüre auf und beobachtest stattdessen die Leute. Die Körper der Frauen interessieren dich mehr als die der Männer, das ist bei allen Frauen so, hat Theo gesagt, und Recht hat sie. Du erinnerst dich genau an ihren sechzehnjährigen Körper, hast noch das genaue Bild ihres kurzen Oberkörpers und ihrer langen Beine und der Leberflecken auf ihrer Brust im Kopf, aber an die Männer, mit denen du geschlafen hast, kannst du dich kaum erinnern, an keinen von ihnen. Weder an ihre Namen noch an ihre Körper, nur vage an ihre Gesichter und die ungefähre Form ihres Penis, ob er lang war oder zu dick, du lieber Himmel, wenn es so gerieben hat.
Der Kellner bringt dir auf einem Silbertablett einen Gin Tonic, du schreckst hoch und blickst dich um. Der Mann aus der Lobby grüßt dich aus einiger Entfernung von seinem Liegestuhl aus mit seinem attraktiven, jungenhaften Lächeln, und du senkst den Kopf und stellst dich tot, trinkst nicht, schaust nicht, bist nur verwirrt und weißt gleichzeitig, wie sehr Theo dein Verhalten missbilligen würde, eine verpasste Gelegenheit.
Theo. Eine Piratin, die von einer ganz anderen Energie getrieben wird. Sie ist durstig und muss diesen Durst löschen, das sieht man schon an der Art, wie sie geht und zuhört und sich vorbeugt und redet. Theo ist eine Frau, die fast zu intensiv lebt, sie hat so viel Leben in sich, dass es durch ihre Haut leuchtet. Bedeutet das vielleicht, dass du zu wenig intensiv lebst? Dein Herz zieht sich vor Panik zusammen, als hätte eine Wolke es gestreift.
Du schaust zu dem Mann auf dem Liegestuhl hinüber, der jetzt seine
Tribune
liest, legst den Kopf in den Nacken und schließt die Augen. Du lebst ganz im Moment, wie ein weidendes Schaf, das mal hierhin, mal dorthin trippelt und sich mit nichts sonderlich beschäftigt. Und dennoch, dennoch würdest du nie mit Theo tauschen. Denn in ihrer Freiheit, in der sie sich vor niemandem zu verantworten hat, ist sie verloren.
Der Himmel wird dunkler, die Menschen am Pool packen ihre Sonnencreme ein und verlassen einer nach dem anderen den Garten, die glutheiße Brise wird heftiger und Sonnenschirme werden zugeklappt, damit sie nicht umstürzen und davonrollen. Du steigst schnell noch einmal in den Pool. Das Wasser kräuselt sich wie Wellblech. Du bist die einzige im Becken, gleitest durchs kühle Nass und ziehst zum ersten Mal seit Jahren mit den Armen so richtig durch, spürst, wie ungenutzte Muskeln mit einem Ächzen in Gang kommen, und denkst an deine Mutter, an ihre starken, Vertrauen einflößenden Hände und an die Wasserbänder, die dich umschlangen, als du zehn Jahre alt warst. Niemand aus deiner Familie lebt in deiner Nähe, die engste Beziehung hast du zu deinen Freunden: zu Cole natürlich und zu Theo, die so etwas wie deine Schwester ist, obwohl eure Beziehung manchmal so intensiv wird wie zwischen Liebenden.
Heute hat sie Geburtstag, du musst sie anrufen.
Du lächelst, während du durchs Wasser pflügst, und als du am Ende des Beckens hochblickst, siehst du, wie aus der Wüste große Federbuschen ockerfarbenen Staubs herangeweht werden, es ist, als würde die Abenddämmerung nach vorn auf die Bühnenmitte gescheucht. Die Kellner arbeiten nun rasch und gezielt, räumen Handtücher und Kissen von den Liegen. Die meisten Gäste haben sich zurückgezogen. Die Palmen werfen ihre Wedel zurück wie widerspenstige Ponys ihre Mähnen, Zweige und Blätter wirbeln in den Pool, und als du aus dem Wasser steigst, fallen die ersten fetten Platscher. Du riechst, wie sich die Erde öffnet, als wolle sie Luft holen, spürst, wie der Gewittertag Lebensfunken in dir entzündet, du reckst ihm dein Kinn entgegen, atmest tief ein und sammelst widerstrebend deine Badesachen zusammen. Du gehst an dem Mann aus der Lobby vorbei, der immer noch standhaft weiterliest. Er blickt zu dir hoch.
Du siehst ihn nicht an. Du gehst zu deinem Mann, kribbelig vor Vorfreude.
25. Lektion Etwas zu verleihen ist grundsätzlich die größte Unfreundlichkeit, derer wir
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