Bis auf die Haut
Und er wird keinerlei Erwartungen haben, wie du dich verhalten solltest.
In dieser Nacht schlüpft Cole in dein Bett und schmiegt sich an deinen Rücken wie ein Fragezeichen.
Eine Idee, die schön ist in ihrer Schlichtheit. Und unmöglich.
Denn so etwas tust du nicht. Das zeigt sich schon an deiner zurückhaltenden Kleidung, deinem gesunden Gesicht, deinem schnellen Erröten. Und wie entsetzt du immer bist, wenn du von Seitensprüngen hörst, deine Standardbemerkung ist dann: Das könnte ich einer anderen Frau nie antun.
Oder Cole. Glaubst du zumindest.
60. Lektion Manche Menschen fürchten außerordenthlich die
Zugluft und liessen sich lieber langsam vergiften,
als frische Luft zu spüren. Das ist höchst unklug
und führet zu mannigfachen Krankheiten
Ein Geschenk wird überbracht, wunderschön verpackt.
Ein Vibrator.
Dir bleibt die Luft weg. Kein Begleitbrief. Wie obszön, faszinierend, lächerlich, du hast noch nie einen aus der Nähe gesehen. Sehr lange fasst du ihn nicht an, dann drehst du ihn in alle Richtungen, lässt dich aufs Bett sinken und schaltest ihn ein. Du kannst ihn kontrollieren, ihn genau dorthin führen, wo du ihn haben willst, so lange oder so kurz, wie du es willst.
Er ist so klein, dass du ihn in deiner Handtasche aufbewahren kannst, und du streichst oft mit den Fingern darüber, stellst dir Reisen in exotische Länder und Zollbeamte vor, die dein Gepäck durchsuchen. Du stellst dir vor, wie du errötend und stotternd Erklärungen ablieferst. Du bist noch nie durchsucht worden. Dazu hast du immer viel zu brav und bieder ausgesehen.
Kein Begleitbrief in der Schachtel. Aber die Adresse mit Schreibmaschine getippt. Du streichst mit den Fingerkuppen über die Buchstaben, ihr ausgeprägtes Relief.
Anonym, natürlich. Seit wann ist er wieder zurück? Ist er überhaupt weggefahren? Ist das wieder nur ein Spiel? Du rufst an, hinterlässt Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter, er ruft nicht zurück.
Noch ein Brief.
Ich möchte die Hand in deinem Rücken sein und dich nach vorn stoßen.
Zitternd, feucht, du musst dich setzen.
Die Falle schnappt zu.
61. Lektion Meist ist es einfacher, das Unrechte zu thun als das Rechte
Noch ein Brief, vier sind es jetzt. Alle kurz, mit Schreibmaschine getippt, die Worte ätzen sich dir ein wie Säure.
Dich nur festzuhalten, danach brenne ich, nur meine Lippen auf das Tal deines Nackens zu legen und deinen Körper abwärts gleiten zu lassen. Ich kann es kaum ertragen, von dir getrennt zu sein, deine Stimme nicht zu hören, dich nicht ganz nah bei mir zu haben.
Fünf Minuten, nachdem du den letzten Brief geöffnet hast, klingelt das Telefon.
Hallooo! Er dehnt das Wort, begrüßt dich immer so übermütig, als wäre es eine herrliche Überraschung, deine Stimme zu hören.
Hallo Fremder, erwiderst du.
Ich bin wieder da, verkündet er in einem fröhlichen Singsang.
Seit wann denn das?
Seit gerade eben, in dieser Sekunde. Wann können wir uns treffen? Hast du Zeit?
Ja, klar, aber ein bisschen musst du warten, ich brauch noch eine Stunde, nein zwei.
Langsam kommt es dir doch wie Untreue vor, wie du dich fahrig und geistesabwesend fertig machst, der Duschstrahl ist zu hart, das Wasser zu heiß, du zwingst deinen Körper zur Ruhe mit einem Glas Rotwein, das du ganz langsam trinkst, dann legst du Musik auf und schließt die Augen zur Jeff-Buckley- CD , die Cole nicht ausstehen kann,
sie fesselte dich an den Küchenstuhl, zerschlug deinen Thron und schnitt dir die Haare ab, und deinen Lippen entlockte sie ein Halleluja
, und lächelnd spürst du, wie du vor Erwartung immer feuchter wirst.
Hoch aufgereckt gehst du durch die Tür, voller Leben und Gier, im sicheren Bewusstsein deines Wissens. Tausend Möglichkeiten breiten sich vor dir aus, weit wie ein See, in den du hineinspringen und tief hinabtauchen willst.
Kein Slip.
62. Lektion Für ein gesundtes junges Mädchen gibt es nichts
Erfrischenderes und Kräftigenderes als einen Sprung ins kalte Wasser
Er sitzt schon da, und als du ihn von der anderen Straßenseite aus siehst, vibriert etwas tief in dir; deine Zärtlichkeit schwillt so an, dass sie schmerzt. Er blickt auf und strahlt, dein Herz fließt über.
Du läufst hinüber zu diesem schmuddeligen Lokal, wo es weiße Bohnen in Tomatensauce gibt und der Teebeuteltee nie heiß genug serviert wird, wo alles vor acht Monaten mit einer Wasserfontäne begann. In deiner Handtasche stecken die Briefe, du bist jetzt kühn und siegesgewiss, hast die
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