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Bis auf die Haut

Bis auf die Haut

Titel: Bis auf die Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikki Gemmell
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Unsicherheit und die Spannung, die Spielchen und das Warten gründlich satt. Es muss jetzt einfach ausgesprochen werden, und mit zwei rote Flecken auf den Wangen fragst du ihn rundheraus: Warum laufen wir eigentlich immer um den heißen Brei herum, wir könnten doch einfach in ein Hotelzimmer gehen oder in deine Wohnung oder so, und dann hörst du auf zu sprechen und lächelst, du bist so sicher, was er antworten wird.
    Sein Gesicht.
    Wie bitte?
    Seine Bestürzung.
    Äh – du hörst dich lachen, in einer ganz falschen Tonlage, viel zu laut, okay, es tut mir Leid, und deine Wangen brennen, so grauenhaft peinlich ist es dir. Aber die Briefe, setzt du an, brichst dann ab und stößt hervor: Ach, ist ja auch egal. Du entschuldigst dich, du musst jetzt gehen, nur schnell weg von hier.
    Du packst deine Handtasche, sie wickelt sich um ein Stuhlbein, du stolperst hinaus und läufst die Straße hinunter, rempelst gegen Schultern und prallst fast gegen Laternenpfähle, warte, warte, hörst du hinter dir rufen, doch du drehst dich nicht um und endlich tut sich der Schlund der U-Bahn-Station auf, in dem du verschwinden, versinken kannst.
    Was hast du getan, was hast du bloß angerichtet?
    Auf der Heimfahrt vergräbst du den Kopf in deine Hände, drückst die Fingerknöchel gegen die Schläfen, versuchst alles wegzupressen.
    Idiotin.
Idiotin.
    Und du dachtest, du würdest ihn kennen.

63. Lektion Behaltet niemals nasse Kleider oder Schuhe an
    Ein Lichtschein unter der Haustür. Du hast dein Gesicht wieder unter Kontrolle. Cole hat zu Abend gekocht, eine Katastrophe, er hat das Gemüse verkochen lassen, durch die Wohnung zieht der stechende Geruch eines verkohlten Topfes. Aber er hat’s versucht.
    Ein gezwungenes Lächeln.
    Du hast mir nicht in letzter Zeit irgendwelche Briefe geschrieben, oder?, stößt du nervös hervor.
    Briefe? Nein. Warum sollte ich? Was für Briefe?
    Ach nichts, ich hab ein paar Briefe bekommen. Bisschen seltsam. Vielleicht von diesem jungen Typ, der weiter unten in der Straße wohnt.
    Was ist da los? Wirst du von jemandem belästigt? Sollen wir die Polizei verständigen?
    Liebe Güte, nein, vergiss es. Das ist nur albernes, dummes Zeug. Was gibt’s zu essen?
    In Coles Kopf springt eine Pandorabüchse voller Fragen auf, die sich an seinem Gesicht ablesen lassen. Du entschuldigst dich, kannst das Essen nicht hinunterwürgen, dir ist übel. Durch deine Plumpheit hast du es mit Gabriel verdorben, jetzt ist er aus deinem Leben verschwunden.
    Idiotin.
Idiotin.
    Gibt es etwas, worüber du mit mir reden willst?, fragt Cole vor der verschlossenen Badezimmertür.
    Nein, nein, vergiss es.
    Zeig mir doch mal die Briefe. Was ist das für ein Typ? Coles Stimme klingt beunruhigt, er lässt nicht locker.
    Ich hab ihm Geld für den Bus geliehen, und seitdem verfolgt er mich. Aber das ist eine Lappalie, ich werd schon allein damit fertig. Du bringst sogar ein leises Lachen zustande. Das geht schon klar. Okay? Du zwirbelst mit den Fingern in deinen Haaren herum, bis es wehtut.
    Okay, okay. Pause. Ein Tässchen Tee?
    Da knickst du vollends ein, kneifst die Augen zu, lächelst mit zusammengepressten Lippen.
    Ja, gern. Danke, sagst du mit erstickter Stimme. Und dann wird durch den Spalt der Badtür eine schmale Tafel Lindt-Schokolade durchgeschoben. Kaum hörbar flüsterst du dein »Danke«. In solchen Momenten wird eure Ehe plötzlich wieder wunderbar, bedeutungsvoll.
    Du unterliegst ihrer Macht.

64. Lektion Fegen und Abstauben
    Aber nicht lange.
    Am nächsten Tag kein Anruf von Gabriel, auch am übernächsten nicht. Den ganzen restlichen Winter und die ersten Frühlingswochen kein Kontakt, nur der Anrufbeantworter, auf den du deine sorgfältig eingeübten Nachrichten sprichst, aber er ruft dich nie zurück. Der Wind der Verstörung weht durch alle deine Nächte, weht dir den Schlaf davon, bis du endlich bei Morgengrauen in quälend unruhige Technicolorträume sinkst. Die sich meist um ihn drehen. Er hat sich in jeden Winkel deines Lebens eingeschlichen, er ist der feine Mörtelbelag, den der Maurer hinterlässt, der Staub unterm Bett, der weiße Film, der sich auf der Duschwand niederschlägt, egal, wie verbissen du daran herumreibst. Du wünschst dir mit deiner ganzen Willenskraft, dass er dich überrascht, weißt aber im Grunde deines Herzens, dass er es nicht tun wird.
    Du willst ja nur seine Stimme hören; dann würde deine Kraft zurückkehren.
    Du hättest dir nie vorgestellt, dass du dich so vernichtet fühlen

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