Bis dass der Tod uns scheidet
Zu meinem Glück war der NKWD nicht mehr an der Macht, und wir standen auf amerikanischem Boden.
»Komm mit«, sagte der große Kerl.
Er drehte sich um und trat durchs Vestibül in die Eingangshalle der Festung im Erdgeschoss.
Ich bin klein, aber breit. Meine Schultern würden gut zu einem Mann von Berijas Größe passen. Seine Schultern waren die eines Riesen. Ich folgte ihm in einen kleinen Fahrstuhl, wir quetschten uns hinein, und er drückte auf den Knopf für das oberste Stockwerk.
Es brauchte allen Mut, um meine Hände während der Fahrt still zu halten. Ich leide schwer an Klaustrophobie, und kleine Fahrstühle in Gesellschaft von Männern, die nach einem Massenmörder, Serienkiller und Vergewaltiger benannt sind, standen ganz oben auf der Liste der zu meidenden Orte. Hitze strahlte von Berijas rosa Brust aus, dazu ein Geruch, der mich an die Scheune erinnerte, in der mein Vater, mein Bruder und ich schliefen, wenn wir uns auf ein Privatgelände in den Appalachian Mountains zurückzogen und das Schießen übten, von langläufigen Pistolen Kaliber .22 bis zu Granatwerfern.
Als die quietschende Tür aufging, musste ich mich in Acht nehmen, nicht zu seufzen.
Der Russe führte mich einen langen Flur mit Wohnungstüren entlang, die letzte Tür am Ende drückte er auf.
Dahinter befand sich ein überraschend großer Raum mit hoher Decke und vielen Fenstern. Eine Inderin mittleren Alters saß an einem der Fenster und sah hinaus. Es gab ziemlich viele Wachtposten im Reservat der Freiheit, fand ich. Die Frau wurde von sechs Kindern unterschiedlicher Hautfarbe umringt – das Älteste davon ein Mädchen von vielleicht sieben, acht Jahren. Das jüngste Kind, ein Junge, wimmerte auf dem Schoß der Ältesten.
Die Kinder sahen zu mir und Berija auf, Furcht und Staunen lagen auf ihren Gesichtern. Alle, nur das älteste Mädchen nicht – eine goldhäutige, rothaarige Schönheit, deren einzige Verteidigung gegen Männer wie uns in Missachtung bestand.
»Kennt ihr diesen Mann?«, fragte Berija die Kinder.
Erst fand ich die Frage merkwürdig, doch dann dachte ich, warum sollten sie nicht einen Bekannten ihrer Mutter kennen?
Die Kinder antworteten nicht gleich.
»Fatima«, forderte die Inderin ein Kind auf.
»Nein«, antwortete die goldhäutige Anführerin der kleinen Sippe.
»Hast du ihre Schwester Chrystal gesehen?«, fragte ich.
»Tante Chrys ist Segeln gegangen«, antwortete Fatima und sah mich an.
»Deine Ma hat mich gebeten, Tante Chrys einen Gefallen zu tun«, erklärte ich, »aber ich konnte sie nicht finden. Deshalb bin ich hier, um eure Ma zu fragen, was ich als Nächstes tun soll.«
Ich redete bloß. Die Übereinkunft zwischen dem Kind und mir war bereits getroffen worden. Den Blick, den sie mir zuwarf, hatte ich auf meinem Klientenstuhl schon viele Male gesehen.
Die indische Kinderfrau und der russische Sohn des Verderbens starrten die Kinder an und kontrollierten sie mit ihrer Willenskraft.
»Weißt du, wo deine Mutter gerade ist?«, fragte ich Fatima.
Die Inderin schüttelte fast unmerklich den Kopf. Fatima warf ihr einen Blick zu, ließ den Kopf sinken und bedeutete dem Fußboden ein Nein.
»Kann ich dich kurz mal draußen sprechen?«, fragte ich Berija.
Er brummte und drehte sich um.
Er ging als Erster hinaus, ich folgte ihm. Ich wartete, bis er die unverschlossene Tür zuzog, und verpasste ihm einen soliden Schlag in den Magen. Dieser rechte Haken wurde genauso ausgeführt, wie Rocky Marciano ihn im Doktorandenstudium für Pugilismus unterrichtete – im Himmel oder wo auch immer. Aber ich ruhte mich nicht auf meinen Lorbeeren aus. Ich traf ihn noch dreimal in der Bauchgegend, schleuderte ihm zwei Uppercuts ins Gesicht und landete dann eine rechte Gerade genau auf seine Kinnspitze.
Iwan war schon vor dem letzten Schlag ohnmächtig und fiel mit einer Wucht zu Boden, die seine Bewusstlosigkeit deutlich verriet. Ich war nicht stolz auf mich. Einen Mann zu schlagen, der nicht damit rechnet, ist die Tat eines Feiglings, doch wie der Ringrichter des Lebens sagt: Sei stets auf der Hut .
Ich schaute mich um und sah den Flur entlang. Da stand Fledermaus, drei große Schritte außerhalb meiner Reichweite. Ich dachte schon daran, mich auf ihn zu stürzen. Doch er konnte Gedanken lesen, hob die Hände und gab sich geschlagen. Ich sah wieder zu Berija. Der würde noch eine Weile k. o. sein. Also öffnete ich die Wohnungstür und ging hinein.
»Iwan möchte Sie draußen sprechen«, sagte ich zu dem
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