Bis ich dir verfalle: Erotische Vampirstorys (German Edition)
niemanden ermorden, der bereits tot ist«, antworte ich.
Vor fünf Jahrhunderten wurde der Alchemist das erste Mal auf Erden gesehen. Er ist kein lebender Mann. Ich habe die Kirchenbücher gesehen, die sein Leben als Mensch detailliert beschreiben. Ich bin stolz auf mich, weil ich vermutlich der einzige Mensch bin, der seinen wahren Namen kennt. Und seit jenen bescheidenen Anfängen auf Mersea Island bin ich jedem seiner Schritte durch die Jahrhunderte und über alle Kontinente gefolgt, bis ich seinen jetzigen Wohnort fand. Er hat das Leben eines Adeligen in Venedig geführt, er war Konquistador und Stummfilmstar. Aber er kehrte immer wieder zu seinem Hauptwerk zurück – der Vergöttlichung des Menschen.
»Meine Kameraden waren nicht tot.«
»Doch, das waren sie. Sie hatten es nur noch nicht bemerkt. Ihr seid alle längst tot.«
Sein Griff erschlafft, aber sofort übernimmt ein anderer von meinen Begleitern seine Aufgabe. Ihm gefallen meine Worte nicht – er schmettert mich mit dem Kopf voran gegen die Stahltür, die abgesehen von der Treppe den einzigen Ausgang aus diesem Stockwerk darstellt. Schmerz krallt sich in meine Stirn und explodiert in meinen Ohren. Aber ihm ergeht es um einiges schlechter. Ich ziele auf sein Kinn, und er bleibt zurück, als sich die Tür wie bei einer Raumstation fast lautlos öffnet, und spuckt Zähne in seine Hand. Rasch werde ich durch die Tür geschoben.
Was hinter dieser Wand aus gebürstetem Stahl liegt, das gleicht einem Wunderland aus Eichenholz. Der Geruch nach Bienenwachspolitur hängt schwer in der Luft, aber schon wenige Schritte weiter wird der Duft von zahlreichen, schärferen Chemiegerüchen überlagert. Vor mir erstreckt sich eine endlose Reihe Arbeitstische, die mit Destillierapparaten und Bechergläsern vollgestellt sind. Knallbunte Flüssigkeiten brodeln in komplizierten Versuchsanordnungen. Es gibt, wie ich schnell feststelle, keine Spülbecken, also auch kein fließendes Wasser.
»Lasst sie hier und verschwindet.«
Es ist das erste Mal, dass ich seine Stimme höre. Ich trinke sie, nehme sie tief in mich auf. Jede Silbe lasse ich in mein Unterbewusstsein hinabgleiten. Er hat einen Akzent. Sein Englisch ist von den Jahrhunderten schartig geworden und hat eine leise lateinische Einfärbung. Vorfreude beflügelt meine Schritte. In seiner Stimme schwingt etwas Fesselndes mit.
Meine Begleitung weicht zurück, dann schließt sich lautlos die Tür hinter ihnen. Ich bin allein mit ihm.
»Komm näher.«
Ich gehorche, weil in diesem Moment mein Wunsch und seiner einander entsprechen.
Sein Labor ist in unheimliche Schatten getaucht. Ich kämpfe mich vorsichtig zwischen den labyrinthartig angeordneten Möbeln hindurch. Jedes Möbelstück ist herrlich alt. Ein Beinhaus nimmt eine ganze Ecke des Raums ein. Knochen stehen hervor und sind zu einem morbiden Bett zusammengefügt. Der Gedanke, wie er dort liegt und sich mit seinen Opfern vergnügt, lässt mich sauer aufstoßen. Fast muss ich würgen. Diese elfenbeinfarbene Liege ist nicht so anders als das von mir einst geliebte weiße Sofa, auf dem ich mich nach der Arbeit immer einrollte, um ein wenig auszuruhen. Es war dasselbe Sofa, auf dem Billy starb.
»Deine Opfer«, stoße ich hervor.
»Meine Liebhaber. Aber leider ist die Zeit zu ihnen nicht so freundlich wie zu mir.«
Ich drehe mich zu ihm um. Er steht einen Meter hinter mir, und unsere Blicke treffen sich. Ich starre in seine schwarzen Augen, bis ich spüre, wie sie an mir zerren – einer Gravitation nicht unähnlich. Seine Augen glitzern. In ihnen sehe ich die Bosheit seiner kalten, grausamen Magie. Und ich sehe noch etwas darin, das mich beinahe bezaubert.
»Soll ich dich willkommen heißen, meine ungebetene Besucherin?« Seine Stimme ist ein Schnurren, das meine Sinne quält, mich verspottet und zugleich anfleht, Teil seiner Freude zu werden. »Ungebeten«, überlegt er. »Obwohl ich zugeben muss, dass es nicht völlig unerwartet kommt. Du kannst es einfach nicht lassen, stimmt’s? Es sind immer diejenigen, die an der Vergangenheit hängen, die zu mir kommen. Die glauben, ich biete ihnen ein gutes Ende.
Aber setz dich doch, meine Liebe.« Er zeigt auf den Knochengarten.
»Ich werde mich nicht dorthin setzen. Aber ich bin ohnehin nicht hier, um zu reden.«
»Nein, das stimmt.« Er lächelt. Ein dünnes, breites Grinsen. »Ich glaube, du bist eher hergekommen, um jemanden umzubringen.« Er entblößt seinen Hals und schnuppert kurz. »Vier ... nein,
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