Bis zum bitteren Tod (German Edition)
wo sie dem gewalttätigen, durch und durch neuzeitlichen Konflikt ein alttestamentarisches Gepräge verliehen. Hier fanden sich die vertriebenen Palästinenser zu Tausenden, und sie gaben dem Westen, vor allem den Amerikanern und Briten, und den Israelis die Schuld für ihr Schicksal. Und das mit gutem Grund.
Dies war die geistige Heimat von Ravi Rashud, dem im Iran geborenen, in Harrow ausgebildeten britischen Armeeoffizier, der dem mystischen Ruf der Wüste und ihrer Völker gefolgt war, nachdem er ein palästinensisches Mädchen gerettet und später geheiratet hatte.
Denn hier, in der 3500 Jahre alten Stadt, lagen die Wurzeln seiner neuen Berufung, die Ursprünge der fundamentalistischen Organisation der Hamas. Alles hatte hier in Gaza 1987 begonnen, als diese Untergruppierung der islamischen Widerstandsbewegung vom fanatischen Scheich Ahmed Jassin gegründet wurde.
Das Wort Hamas bedeutet Eifer und Begeisterung für den Propheten Mohammed, dessen Großvater Hamesh hier in der Stadt begraben liegt. Die Organisation aber berief sich immer auf modernere Wurzeln und unterstrich die Verbindungen zur legendären Muslimbruderschaft, die 1928 in Ägypten gegründet wurde.
Bekannt wurde sie durch ihre Gewalttaten, Sprengstoffanschläge, Erschießungen und Aufstände gegen Israel. Vom Rest des Landes gehasst, operierte die Hamas jahrelang als eine Art chaotische Gewalttruppe. Erst als der ehemalige SAS-Major Ray Kerman auftauchte, zunächst als erfahrener Offizier, dann als ihr militärischer Oberbefehlshaber, gelang es der Hamas, die PLO als unbestrittenen militärischen Arm der Bewegung abzulösen.
In gewissem Sinn kehrten Ravi und Shakira nach Hause zurück, als sie durch die staubigen Straßen von Gaza fuhren. Sie hatten bislang wenig Zeit hier verbracht, nachdem Major Kerman mit seiner zukünftigen Braut zum Gegner übergelaufen war. Jetzt aber spürten beide, dass ihnen hier in den geröllübersäten Wohnsiedlungen ein warmer Empfang bereitet werden würde.
Auf ihrem Weg zur relativ wenig zerstörten Omar-el-Mokhtar-Straße fanden sie sich plötzlich inmitten eines Vororts mit weiß gestrichenen Innenhöfen, Palmen und grünen Sträuchern wieder.
Shakira, die hier in der Stadt geboren worden war, lächelte nur und sagte: »Es hat mir hier immer gefallen, Ravi. Ich glaube, wir werden sehr glücklich sein.«
Ravi, immer schon pragmatisch veranlagt und noch immer erschüttert vom Sprengstoffanschlag, der ihn beinahe in die Arme Allahs befördert hätte, war sich dessen nicht so sicher und wirkte auch bei weitem nicht so fröhlich wie seine Gattin.
Der Wagen bog in eine Nebenstraße ab und dann in ein Labyrinth kleiner Wohneinheiten. Schließlich hielten sie neben einer hohen Mauer aus roten Ziegelsteinen. In der Wand fand sich ein glänzend schwarz gestrichenes Tor mit einer kleinen Klappe auf Augenhöhe. Der Chauffeur stieg aus und klopfte an das Tor. Die Klappe wurde nach innen geöffnet, und eine arabische Stimme war zu hören.
»Bitte, kommen Sie herein«, sagte der Chauffeur. Sie stiegen aus dem Wagen ins helle Sonnenlicht. Das große Tor ging auf, ein Wachmann mit einer AK-47 salutierte, während Ravi und Shakira den im Schatten liegenden Innenhof mit seinem großen Brunnen betraten.
»Vielleicht wollen Sie etwas Wasser?«, sagte die Wache. »Bitte warten Sie, ich hole den Colonel.«
Ravi füllte zwei kleine irdene Tassen mit Wasser vom Brunnen, reichte eine davon seiner Frau und trank die andere selbst. Im nächsten Moment wurde die Tür zum Haus aufgerissen und Colonel Hassad Abdullah erschien, ein alter Waffengefährte Ravis aus der Zeit des Angriffs auf das Nimrod-Gefängnis. Die beiden Männer umarmten sich mit der distanzierten Freude von Kämpfern, die irgendwie alle Fährnisse überlebt hatten.
»General Rashud!«, rief der Colonel aus. »Ich kann kaum sagen, wie sehr ich mich heute freue. Wir werden heute Abend zusammen essen. Aber dann muss ich fort. Sie verstehen sicherlich, unser Oberkommando ist sehr besorgt wegen des Sprengstoffanschlags, der Sie fast das Leben gekostet hätte. Ich bin dazu berufen worden, der Sache nachzugehen. Ich werde morgen früh nach Damaskus reisen.«
»Das ist sehr schade«, erwiderte Ravi. »Ich habe gehofft, wir könnten ein paar Tage zusammen verbringen. Um über die Vergangenheit zu reden und, natürlich, auch über die Zukunft.«
»Uns bleibt leider nur der Abend«, antwortete der Colonel. »Der Anschlag hat unsere gesamte Gemeinschaft
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