Biss der Wölfin: Roman
können, aber ein Fußmarsch von einer halben Meile rechtfertigte die Höllenqualen einer Wandlung nicht. Und dann wäre da noch das Problem gewesen, splitternackt auf Dennis’ Türschwelle aufzutauchen.
Wir stießen auf eine mehrfache Weggabelung. Die Motorschlittenspuren führten die zweite Abzweigung entlang, wahrscheinlich zu einer weiteren Hütte. Ich hielt ein Auge auf das GPS-Gerät und nahm die erste Abzweigung, die in die richtige Richtung führte.
Der Schnee lag hier dicker, und es gab keine Anzeichen dafür, dass seit dem letzten Schneefall jemand diesen Pfad entlanggekommen war. Wir waren vielleicht zwanzig Meter weit gekommen, als ich einen Geruch auffing, der mich innehalten ließ.
Clay atmete ein. »Wolf.«
Unter meiner dicken Jacke spürte ich, wie sich eine Gänsehaut entwickelte – eine Mischung aus Furcht und Erregung. Wölfe faszinieren die meisten Werwölfe. Wir fühlen uns zu ihnen hingezogen wie zu Verwandten. Unseligerweise sehen die Wölfe uns keineswegs in diesem Licht.
Unsere Mischung aus Mensch- und Hundewesengeruch verwirrt sie. Sie wissen nicht, was wir sind, und so ist es für sie am sichersten, uns als Bedrohung zu betrachten.
Clay und ich hatten im Algonquin Park einmal mit Wölfen zu tun gehabt. Sie hatten Anstalten gemacht, uns anzugreifen, waren dann zu dem Schluss gekommen, dass wir für ihren Geschmack eben doch zu sehr nach Mensch rochen, und hatten sich davongemacht.
Danach hatten wir einen Bogen um ihre Fährten gemacht, wenn wir uns in einer Gegend aufhielten, die als Wolfsterritorium bekannt war. Hier allerdings war das nicht möglich.
»Alles voll von ihnen«, sagte ich im Weitergehen. »Und es ist ein großes Rudel, mindestens acht oder neun Wölfe, möchte ich wetten. Die Fährten sind außerdem ziemlich neu.«
»Aber im Wind rieche ich sie nicht.«
»Ich auch nicht, was hoffentlich bedeutet, dass sie weit weg sind.«
Nicht weiter überraschend – Wölfe neigen dazu, im Winter größere Strecken zurückzulegen, weil sie nach Futter suchen müssen.
»Haben diese Polizisten nicht gesagt, es gäbe ein Rudel in der Gegend, wo sie heute Morgen die Leiche gefunden haben?«
Ich rieb mir die eiskalte Nase. »Sie haben gesagt, es hätte dort eins gegeben, aber es wäre weitergezogen. Vielleicht war es wegen der Mutts. Wir sollten herausfinden, wann dieses Rudel verschwunden ist. Das könnte uns eine Vorstellung geben, wann die Mutts hier aufgetaucht sind – ich habe das Gefühl, es war erst vor kurzem.«
Wir hatten ein Stück dichteres Waldland erreicht, und das Licht war fast vollkommen verschwunden. Unser Sehvermögen war generell etwas besser als das von Menschen, aber die Nachtsicht war schlechter. Ich ging langsamer, achtete mehr darauf, wo ich hintrat. Trotzdem stolperte ich noch über einen im Schnee verborgenen Ast. Clay packte mich am Arm.
»Ich hätte eine Taschenlampe mitbringen sollen«, sagte ich.
»Wir sind fast da. Ich sehe ein Licht.«
Ich folgte seiner Blickrichtung und entdeckte mehrere bläuliche Lichter, die durch die Bäume funkelten.
Ich überprüfte das GPS-Gerät. »Entweder hat Charles sich bei den Koordinaten vertippt, oder das ist eine andere Hütte. Dem Ding hier zufolge müssen wir noch mindestens eine Viertelmeile in diese Richtung gehen.« Ich zeigte hin.
»Wir sehen’s uns an.«
Um in die Richtung der Lichter zu gehen, mussten wir den Pfad verlassen. Als wir näher kamen, schienen sie matter zu werden, aber ich sah sie nach wie vor, blaue Flecken in der Dunkelheit unmittelbar vor uns.
Wir traten zwischen den Bäumen heraus.
»Hm«, sagte Clay.
Wir standen am Rand einer Lichtung, auf der sich keine Hütte befand … und keine Lichter.
»Geisterlicht? Wir hätten Jaime mitbringen sollen.«
Ich wollte es leichthin sagen, aber meine Stimme zitterte. Als ich mich umsah, schien sich jedes Härchen meines Körpers aufzustellen.
»Spürst du das?«, fragte ich.
»Yeah.«
»Da vorn ist irgendwas. Wölfe?«
»Vielleicht.«
Es waren keine Wölfe. Wir wussten es beide, spürten es beide. Clays angespanntes Gesicht drehte sich in meine Richtung, als sein Blick die Bäume absuchte.
»Hast du das Gefühl, es gibt Ärger?«, fragte er.
»Ich glaube nicht.« Ich rieb mir den Nacken. »Gehen wir zurück zu diesem Pfad.«
11 Unnatürlich
D er Mond erschien und beleuchtete uns den Weg zurück zum Pfad. Selbst durch die Bäume warf er noch einen Lichtschein, der hell genug war, dass wir ihm folgen konnten. Die Wolfsfährte
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