Bissig! (German Edition)
Scham kannte dieser Kerl nicht. Er sah viel mehr alles Sexuelle als etwas so Natürliches an, dass man getrost in allen Lebenslagen darüber reden und den Akt auch ungeniert ausführen konnte. Dabei schien er eine gewählte Ausdrucksweise zu bevorzugen, er selbst hätte Jess als geile Sau bezeichnet.
Raven atmete tief durch, jetzt ging es ans Eingemachte: „Sie glauben an Vampire?“
„Oh, ich glaube nicht nur daran, ich kenne welche“, behauptete Usher im Brustton der Überzeugung. Raven blieb kurz die Luft weg, als der Monitor wieder keine überdurchschnittlichen Hirnaktivitäten anzeigte. Anscheinend war Usher überzeugt von dem, was er berichtete.
Es bestand aber noch eine zweite Möglichkeit: Einige Geheimagenten wurden darauf trainiert, so zu lügen, dass sie selbst ihre Herzfrequenz und Hirnwellen beeinflussen konnten. Vielleicht war es bei Usher auch der Fall. Raven erhob sich und ging auf und ab, denn sein ungewöhnlicher Proband sollte nicht sehen, wie seine Hände zitterten.
„Mr. Grey, kennen Sie denn auch noch andere … eigenartige Wesen?“ Wie hätte er die Frage anders formulieren sollen?
„Dämonen zum Beispiel, ja.“ Usher sagte das, als ob sie über die normalste Sache der Welt redeten. Das EEG veränderte sich wieder nicht im Geringsten.
Der kalte Schweiß, der mittlerweile über Ravens Rücken tröpfelte, ließ ihn erschauern. „Hören Sie, Mr. Grey … Sie sind sehr überzeugt davon, mit übernatürlichen Kreaturen zu tun zu haben. Ich zeige Ihnen jetzt einmal etwas.“ Er reichte Usher die Kurzbeschreibung des Todesfalls und einige der Fotos. „Bitte lesen Sie.“
Usher nahm die Papiere an sich und sah sie sich aufmerksam durch. Danach betrachtete er die Bilder. Während der ganzen Zeit sah Raven gebannt auf den Monitor.
Noch nicht einmal Ushers Puls beschleunigte sich. Wortlos nahm Raven die Akten wieder an sich, dann ging er zum Medikamentenschrank. Dieser Mann zeigte überhaupt keine Reaktionen, deshalb konnte Usher nur ein gut trainierter Agent eines Geheimdienstes sein.
Mit noch immer zitternden Händen nahm Raven eine Ampulle heraus. „Ich werde Ihnen jetzt etwas spritzen. Wir nennen es das Wahrheitsserum. Ich hatte gehofft, es nicht tun zu müssen, aber die Ergebnisse überzeugen mich nicht so richtig.“
Raven zog eine Spritze auf und klopfte die Luftbläschen heraus. „Es macht Sie ein bisschen träge und verändert Ihre kognitiven Funktionen. In einer Stunde sind Sie wieder fit.“
Usher schnappte nach Luft und wollte protestieren, aber Raven war schneller. Er drückte Ushers Arm auf die Liege, tastete nach der Vene und stach zu. „Sie haben eine Einverständniserklärung unterzeichnet“, wiederholte Raven seelenruhig. „Ruhen Sie sich ein paar Minuten aus.“
Als das Medikament zu wirken begann, beobachtete Raven die Monitore. Ushers Puls verlangsamte sich, aber die Hirnwellen blieben konstant. Mit einer Lampe leuchtete Raven ihm in die Augen, dann setzte er sich mit auf die Liege und reichte Usher noch einmal die Akte.
„Was glauben Sie - wer hat dieses Mädchen umgebracht?“
„Das war eindeutig ein echter Vampir. Einen Ritualmord einer Sekte würde ich ausschließen, weil diese Leiche hier nach Strich und Faden ausgesaugt worden ist. Geben Sie mir bitte eine ausführliche Beschreibung des Tathergangs mit Einzelheiten?“
Raven zögerte nur kurz, denn in Wirklichkeit hatte er schon gehofft, dass Usher ihm mehr dazu sagen konnte. „Bitte schön.“ Erleichtert reichte er ihm weitere Unterlagen, und Usher schaute sie durch. Schließlich klappte er die Mappe zu.
„Agent von Rabenstein, Ritualmörder gehen anders vor. Sie benutzen Symbole, ritzen irgendwelche Zeichen in die Haut und gebrauchen Utensilien wie Kerzen und Räucherwerk. Oftmals bringen sie die Leiche in eine bestimmte Position oder richten sie nach Himmelsrichtungen aus. Hier jedoch fehlt alles. Wenn Sie mich fragen, war das die Tat eines Blutsaugers, der die Reste seines Mahls nicht mehr verschwinden lassen konnte.“
Usher lallte ein wenig, aber die Hirnströme auf dem Monitor zeigten immer noch an, dass er von seiner Aussage felsenfest überzeugt war. Raven hingegen fühlte sich wieder, als ob ihm jemand in die Magengrube geboxt hätte.
Da klopfte es energisch an der Tür und Doktor Johnson kam herein. Er wirkte verstört. „Agent von Rabenstein, haben Sie eine Minute Zeit für mich?“
Raven runzelte die Stirn. „Wenn es nicht zu lange dauert.“
„Also, Doc, was gibt es?“
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