Bisswunden
die Hände sinken und schließt den Mund. Während sie mich schweigend anstarrt, überschreite ich die letzte, unaussprechliche Grenze. »Mama … wieso hast du nichts davon gewusst? Wie konntest du nicht wissen, was mit mir angestellt wurde? Wie konntest du zulassen, dass irgendjemand so etwas mit mir macht?«
In ihren Augenwinkeln sammeln sich Tränen; dann rollen sie über ihre Wangen. »Du brauchst Hilfe, Baby. Wir werden dir jemanden suchen, der dir helfen kann. Diesmal suchen wir dir jemanden, der richtig gut ist.«
»Nein«, sage ich mit brechender Stimme. »Du kannst mich nicht wieder abschieben. Niemand kann mir durch diese Sache helfen, wenn du es nicht tust. Du, Mama. Ich weiß, dass du Probleme mit dem Sex hattest – genau, wie ich sie habe –, nur, dass es andere Probleme waren. Ich weiß, dass es Dinge gibt, die du nicht tun kannst.«
Ihr Mund beginnt zu zittern.
»Ich habe mit Louise Butler gesprochen, Mom.«
Sie zuckt zusammen, als hätte ich sie körperlich geschlagen. »Fahr mich nach Hause, Catherine. Fahr mich nach Hause und sag kein Wort mehr!«
»Ich flehe dich an, Mom! Ich stehe hier auf dem Grab meines Vaters und flehe dich an, mir zu helfen, die Wahrheit zu finden! Ich habe Angst, dass ich vielleicht nicht mehr viel länger am Leben bleiben werde, wenn ich die Wahrheit nicht erfahre.«
»Fang mir bloß nicht damit an!«, schnappt sie und hebt ärgerlich den Zeigefinger. »Komm mir nicht damit! Das hat Ann viel zu oft gemacht! Bring mich auf der Stelle nach Hause, oder ich lasse dich allein hier stehen!«
»Ich habe die Schlüssel«, flüstere ich.
»Dann gehe ich eben zu Fuß!«
52
A ls ich auf den Parkplatz hinter Malmaison steuere, sehe ich meinen Großvater auf einem Klappstuhl neben dem Eingang des Rosengartens sitzen. Billy Neal steht neben ihm, eine braune Bierflasche in der Hand. Großvater beugt sich vor und späht durch die Scheibe des Wagens ins Innere. Als er mich und meine Mutter erkennt, gibt er Billy mit der Hand einen Wink, dass er verschwinden soll.
»Gib mir bitte dein Handy, Mom.«
Sie hat auf dem ganzen Weg vom Friedhof hierher nicht ein Wort mit mir gesprochen, doch sie gibt mir ihr Telefon. Dann steigt sie aus, die Handtasche über der Schulter, und wartet auf mich. Während ich Seans Nummer in New Orleans wähle, schlendert Billy Neal unter der Laubenpergola hindurch und verschwindet ohne einen weiteren Blick zurück im Rosengarten.
»Detective Sean Regan.«
»Ich bin es, Cat. Hast du den Autopsiebericht?«
»Noch nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich will ehrlich zu dir sein, Cat. Ich weiß nicht, ob ich ihn kriegen kann. Das fbi hat Stillschweigen wegen dieser Sache angeordnet. Die Sonderkommission erhält keine Informationen. Es ist wie in den alten Zeiten, als die Feds nie etwas herausgegeben haben.«
Großvater sagt irgendetwas zu Mom, doch sie hat sich nicht vom Wagen wegbewegt. Ich schließe die Augen, während ich gegen das Gefühl zorniger Ohnmacht ankämpfe. »Sean, du beschaffst mir diesen verdammten Bericht!«
Ich lege auf. Am liebsten würde ich aus dem Parkplatz zurücksetzen und gleich zu Michael Wells nach Hause fahren, doch ich kann Mom nicht mit Großvater allein lassen – nicht nach dem, was ich ihr auf dem Friedhof erzählt habe.
Sobald ich aus dem Wagen steige, springt Großvater aus seinem Liegestuhl und schreit mich an. Sein Gesicht ist hochrot, und seine Augen funkeln.
»Was glaubst du eigentlich, was du tust, Catherine?«
Beim Anblick meines wütenden Großvater bekomme ich immer noch weiche Knie, doch heute trotze ich seinem Ansturm. »Was meinst du?«
»Du willst den gottverdammten Leichnam deines Vaters ausbuddeln?«
Ich kann es nicht fassen. Entweder hat Michael mich belogen, als er gesagt hat, dass er meinen Namen seinem Anwalt gegenüber nicht erwähnt hätte, oder irgendjemand im Büro des Richters hat meinem Großvater von meinen Nachforschungen berichtet. Das muss es sein. Ich habe auf der Fahrt von Dr. Cage zum Laden meiner Mutter mit dem Gericht telefoniert, um eine Vorstellung vom zeitlichen Rahmen der Exhumierung zu bekommen, bevor ich mit meiner Mutter darüber rede. Doch so weit sind Mom und ich gar nicht erst gekommen. Und jetzt ist das, was ich ursprünglich als kleine, diskrete Operation geplant hatte, meinem Großvater hinterbracht worden, genau wie alles andere.
»Nun?«, donnert er. »Was hast du zu sagen?«
Bemerkenswerterweise kommt meine Mutter mir zu Hilfe. Es ist das erste Mal, soweit ich mich
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