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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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verletzt?«
    »Das werden Sie sehen, wenn wir ihn geschnappt haben. Geben Sie endlich Gas! Dieses verdammte Ding kommt überhaupt nicht vorwärts!«
    Als wir die Geröllpiste erreichen, beschleunigt Jesse den Truck und fährt so schnell, wie es nur geht, und das müsste schneller sein als Pearlies schwerer Cadillac. Ich erinnere mich, wie der Caddy in den Kurven auszubrechen drohte und geschwankt hat wie ein Boot im Bayou.
    »Verdammt«, murmelt Jesse nach kurzer Zeit. »Ist das nicht Pearlies Wagen dort?«
    Fünfzig Meter vor uns ist ein babyblauer Cadillac mit der Schnauze gegen einen Pekannussbaum gekracht. Dampf quillt unter der Motorhaube hervor. Die Fahrertür ist offen, und Kopf und Oberkörper eines Mannes ragen heraus. Das Gesicht ist bedeckt von hellrotem Blut.
    »Beeilung!«, rufe ich. »Pearlie ist im Kofferraum.«
    Jesse bremst wenige Meter von Pearlies Wagen entfernt. Billy Neal rührt sich nicht, doch das bedeutet nicht, dass er tot ist. Das Blut auf seinem Gesicht könnte von nichts weiter als einer gebrochenen Nase herrühren.
    »Haben Sie eine Waffe?«, frage ich.
    Jesse greift hinter den Sitz und bringt ein Jagdgewehr zum Vorschein. »Halten Sie Billy Neal in Schach, während ich den Kofferraumschlüssel hole.«
    »Wie wollen Sie den Schlüssel mit auf den Rücken gefesselten Händen aus dem Zündschloss ziehen?«
    »Sie haben Recht. Dann machen Sie eben beides.«
    Jesse steigt aus dem Wagen und lädt das Gewehr durch. Die Patrone rutscht mit einem beruhigenden Klicken in die Kammer. Ich springe umständlich aus der Kabine und halte mich dicht hinter Jesse, während er sich vorsichtig Billy nähert.
    »Wenn dieses Arschloch auch nur einen Mucks macht, gebe ich ihm den Rest«, sagt Jesse.
    »Nur zu«, muntere ich ihn auf.
    Er nähert sich mit dem Gewehr im Anschlag dem Cadillac und Billy, wie man sich einer verwundeten Klapperschlange nähern würde. Dann entspannt er sich plötzlich, und schließlich erkenne ich den Grund dafür.
    Billys Hände sind leer, die grauen Finger blutig. Seine Augen in der roten Masse, die sein Gesicht ist, starren blicklos in den Himmel. Das Leben ist aus ihnen verschwunden. Als ich nahe genug heran bin, um ihn berühren zu können, höre ich ein ganz leises Pfeifen. Aus dem ausgefransten Loch in seiner Kehle steigen winzige rote Schaumblasen auf.
    »Wie zur Hölle hat er das geschafft? So stark war der Aufprall nicht.«
    »Das war nicht Billy«, sage ich. »Das war ich.«
    »Womit?«
    »Mit den Zähnen.«
    Jesse beugt sich dichter herab. »Ich werd verrückt.«
    »Holen Sie die Schlüssel, Jesse.«
    »Jawohl, Ma’am.«
    Während Jesse den Schlüssel aus dem Zündschloss zieht, knie ich neben Billy nieder. Seine Augen weiten sich angstvoll, dann erstarren sie.
    Das Pfeifen hat aufgehört.
    Ich habe einen Menschen getötet. Ich habe einen Menschen getötet, und alles, was ich denken kann, ist, dass ich froh bin, die Zähne meines Vaters geerbt zu haben. DeSalle-Zähne sind klein und rund. Kirkland-Zähne sind groß und quadratisch und neigen zu Karies und Zerfall. Ferry-Zähne hingegen sind hart wie Stein, die Schneidezähne breit, die Vorderzähne scharf. Ich erinnere mich, wie mein Daddy die Kronkorken von Colaflaschen damit geöffnet hat, als ich klein war. Er hat erzählt, er hätte es von seinem Vater gelernt. Während mir diese Erinnerung durch den Kopf geht, erfasst mich ein Hochgefühl. Ichkann unmöglich Ferry-Zähne haben, wenn Luke Ferry nicht mein Vater ist. Der Beweis ist nicht so unumstößlich wie eine dna-Analyse, doch ich kenne mich mit Zähnen aus wie mit sonst nichts auf der Welt.
    Luke Ferry war mein Vater.
    »Sieh sich einer diese Scheiße an!«, kreischt Jesse Billups. »Komm, Tante Pearlie, ich helf dir da raus!«
    Ich springe auf und renne nach hinten. Jesse hat das Gewehr zu Boden gelegt und hebt seine alte Tante behutsam aus dem Kofferraum. Pearlies Gesicht und ihre Hände mögen zwar blutig sein, doch ihre Augen sind voller Leben – verglichen mit denen von Billy Neal.
    »Alles in Ordnung, Pearlie?«, frage ich.
    Sie deutet auf meine nackten Beine unter dem Anorak. »Ist bei dir alles in Ordnung?«
    »Ja.«
    Sie schließt die Augen und schüttelt den Kopf. »Wie ich gesagt habe – mit Gottes Hilfe wirst du es schaffen, Mädchen.«
    Ich versuche erst gar nicht, ihr zu widersprechen. »Ja, das hast du.«
    Jesse stellt seine Tante vorsichtig auf die Füße und hält sie aufrecht, während sie erprobt, ob sie ihre Beine belasten kann. Dann lässt

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