Bist du mein Kind? (German Edition)
einem der Kinderheime, die wir angefahren haben, fanden wir Laurent. Er war sehr krank. Auf seinem Rücken prangte eine frische Narbe, die total entzündet war. Er hatte hohes Fieber und war apathisch. Er war sehr abgemagert und wir waren total entsetzt“.
Während ich zuhöre, sitzt der Knoten. Er sitzt kurz vor meinem Herzen, mir fehlt die Luft zum Atmen. Tränen laufen über mein Gesicht und ich muss schluchzen. So stark, dass mein ganzer Körper geschüttelt wird. Als ich Wolfgang ansehe, laufen Tränen über sein Gesicht und er ballt die Hände zu Fäusten.
Isabelle macht eine Pause. Auch sie weint. Sie nimmt meine Hand und hält sie einfach nur fest.
„Entschuldigen Sie“, sagt sie leise. „Aber so war es, das ist die ganze Wahrheit und ich denke, Sie sollten es wissen. Wir haben damals die Ambulanz angerufen, um ihn in ein Krankenhaus zu schaffen. Als der Krankenwagen kam, hat der Fahrer sich geweigert, Laurent mitzunehmen, mit der Begründung, der Transport würde nicht bezahlt, weil es sich um eine Waise unbekannter Herkunft handelt. Wir haben ihm viel Geld gegeben, wir haben unser privates Geld bezahlt und erst dann ist der Arzt aus dem Wagen gestiegen.
Im Krankenhaus ging dann das Gleiche von vorne los. Wieder haben wir mit Geld durchgesetzt, dass er behandelt wird. Claude ist dann wieder gefahren und ich bin dageblieben. Sie haben ihn in ein Einzelzimmer gebracht und ihn an furchtbar viele Schläuche angeschlossen. Ich habe ja kein Wort verstanden. Nach ein paar Stunden kam dann ein Arzt, der Englisch konnte. Mit dem habe ich mich dann verständigt: Alles deutete darauf hin, dass man ihm eine Niere entnommen wurde.
Er erklärte mir, dass es durchaus üblich sei, armen Menschen Organe für reichere abzukaufen. Es gibt kaum Organspenden in Rumänien. Aus diesem Grund hat sich dort eine regelrechte Mafia gebildet, die Menschen entführt und Organe entnimmt. Bei Laurent war das wohl auch der Fall. Ich bin fünf Tage bei ihm im Krankenhaus geblieben, bis er so weit stabil war, dass wir ihn nach Frankreich bringen konnten. Claude hat sich von dem Hilfstransport verabschiedet und wir sind mit dem Flugzeug und Laurent zurück nach Frankreich geflogen. Unsere Ersparnisse waren damit erstmal aufgebraucht. Hier hat er dann lange im Krankenhaus gelegen und der Verdacht aus Rumänien bestätigte sich. Laurent hat nur noch eine Niere. Aber er kann damit uralt werden, eine Niere kann die Arbeit von beiden übernehmen.“
Ich kann nichts sagen. Das Gehörte muss ich erst Mal in meinen Verstand sickern lassen. Diese beiden Menschen, die hier mit uns am Tisch sitzen, haben unserem Sohn das Leben gerettet. Wären sie nicht zur richtigen Zeit dort gewesen, würde Maxi nicht mehr leben und wir hätten ihn nicht zurückbekommen.
Fast fühle ich mich erleichtert, dass er nicht diesem Kinderschänderring in die Hände gefallen ist. Vielleicht habe ich ja durch meine panische Wahnsinnsreaktion die Kinder damals in Belgien versehentlich vor diesen Monstern gerettet.
Trotzdem bin ich am Ende. Das Ganze erschüttert mich so, dass ich gar nicht aufhören kann zu weinen. Wie aus einer Quelle sprudeln die Tränen und ich bin nicht in der Lage, mich zusammen zu reißen. Es geht einfach nicht.
Wolfgang weint still vor sich hin.
Vom Wohnzimmer hören wir das Geschrei und Gekreische der Jungs. Die Situation kommt mir vor, wie aus einem schlechten Film. Dort fröhliche, gut gelaunte Kinder und hier Erwachsenes, die Rotz und Wasser heulen.
Isabelle fragt, ob sie weitererzählen soll. Ich möchte lieber nichts mehr hören für heute, weiß aber nicht, wie es Wolfgang geht. Ich übersetze ihm die Frage und warte seine Antwort ab.
Er schaut mich an, denkt einen Moment nach und sagt dann:
„Ich kann heute nichts mehr ertragen. Ich denke, es ist genug erzählt“.
Ich bin ihm so dankbar. Auguste übersetzt wiederum an Isabelle und fügt dann noch hinzu:
„Es ist für euch alle vier sehr belastend. Von meinem Strandpunkt aus, denke ich auch, dass es genug ist. Lasst es mal eine Nacht durch eure Träume wandern, dann geht es morgen früh wieder und man kann noch mehr erzählen.“
Wir stimmen ihm alle zu.
Ich bin froh, dass er uns zur Seite steht.
Viel passiert nicht mehr an diesem Abend und ziemlich schnell löst sich die Runde auf. Maxi fährt mit „seiner“ Familie nach Hause. Frederic muss auch los, bis La Rochelle sind es immerhin siebzig Kilometer und Auguste ist der Meinung, dass Wolfgang und ich am besten alleine
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