Bitter Lemon - Thriller
Selbstgefälligkeit aus seinem gepuderten Gesicht. Neben ihm saß Alenka, schlug die Hände vors Gesicht und heulte sich die Augen aus dem Kopf.
Draußen, vor der Tür zum Regieraum, waren Stimmen zu hören, laut, sehr laut, wenn sie durch diese Tür dringen konnten. Friedberts Stimme, hysterisch. Arturs Bass, gefährlich. Etwas krachte gegen die Tür. Dann war Ruhe.
»Wir haben einen Augenzeugen jener Nacht«, beschwor Pfarrer Tomislav Bralic sein Publikum. »Hier! Im Studio! Florentina, würdest du bitte zu mir kommen?«
Cut. Maja schickte Kamera 3 auf die Frau namens Florentina, die sich unsicher von ihrem Sitzplatz erhob. Die Kamera folgte ihr bis auf die Bühne. Cut. Kamera 1 auf Florentina und Tomislav. Das Telefon auf Majas Pult klingelte.
»Keine Angst, Florentina. Niemand wird dir etwas tun. Du sprichst etwas Deutsch, nicht wahr?«
Florentina nickte stumm.
»Dein Telefon klingelt, Maja.«
»Ich weiß.«
»Meine Damen und Herren, Florentina ist eine Überlebende des Sklavenhandels. Noch während des Transports nach Westeuropa wurde sie von einem ihrer Vergewaltiger mit dem HI-Virus infiziert. Allmählich beginnt die Krankheit, ihren Körper zu zerstören. Ihre Seele ist längst zerstört. Sie ist 29 Jahre alt und arbeitet in einem Callcenter in Bukarest … das ist die Hauptstadt ihres rumänischen Heimatlandes. Sie war 17, als sie in die Villa gebracht wurde. Dort lernte sie Irina kennen. Florentina, kannst du dich an die Nacht erinnern, als Irina für immer verschwand?«
Florentina nickte und schluckte.
»Kannst du dich noch an den Mann erinnern, der versucht hat, das gefesselte Mädchen vor den Augen der anderen anwesenden Männer zu vergewaltigen?«
Majas Telefon klingelte zum zweiten Mal.
Diesmal sagte der Tonmeister nichts.
Florentina nickte erneut, diesmal heftig. Sie hob den Arm und streckte den Zeigefinger aus.
»Das ist er. Das ist der Mann.«
Cut. Kamera 2 auf Cornelsen. Nah. Ganz nah. Das Raunen des Publikums im Off.
Das kalkweiße Gesicht des Moderators war das Letzte, was die Millionen Cornelsen-Fans an diesem Tag von ihrem Idol zu sehen bekamen. Nur drei Sekunden später wurden die Monitore schwarz. Maja wusste, was das zu bedeuten hatte: Jemand hatte in der Sendezentrale den Stecker gezogen.
»Das war’s dann wohl«, sagte Maja, packte ihre Sachen und erhob sich aus dem Bürosessel.
Die beiden Jungs sagten kein Wort.
Vor der Tür stand Artur. Unverrückbar. Auf dem Fußboden des Flurs hockte Friedbert und hielt sich die blutende Nase.
»Er hat sich an der Tür gestoßen. Alles vorbei, Maja?«
»Ja, Artur. Für immer und ewig.«
Kristina Gleisberg verkaufte die Kurzfassung der Cornelsen-Story an Bild und die Langfassung mit dem eindrucksvoll dargestellten Aspekt des weltweiten Sklavenhandels an den Spiegel. Die Texte belegten unzweifelhaft, dass der immer noch zur Fahndung ausgeschriebene Tatverdächtige Zoran Jerkov nicht für die Morde an der Prostituierten Eliska Sedlacek und an dem Rechtsanwalt Heinz Waldorf in Frage kam.
Milos Kecman erwähnte sie mit keinem Wort.
Die restlichen Medien machten sich mehr schlecht als recht selbst einen Reim auf das, was sich da live vor einem Millionenpublikum zugetragen hatte. Frank Koch rief zwei Tage später an, der große Frank Koch, um sich bei Kristina zu entschuldigen und ihr eine Festanstellung als Chefreporterin bei InfoEvent anzubieten. Kristina legte wortlos auf.
Das Thema Menschenhandel war dem Deutschen Bundestag immerhin eine Aktuelle Stunde im Plenarsaal wert. Das Wort Sklavenhandel wurde in der politischen Diskussion weitgehend vermieden. Vermutlich, weil es so hässlich klang.
Florentina reiste unmittelbar nach der Sendung mit unbekanntem Ziel ab, gemeinsam mit Tomislav Bralic. Und auch Dr. Carsten F. Cornelsen war für niemanden zu sprechen.
Außer für die Polizei.
Cornelsen wurde als Zeuge zur Vernehmung vorgeladen. Nicht als Beschuldigter. Denn juristisch stand sein Fall auf tönernen Füßen. Vielmehr erhoffte sich die Kripo nach dem Massaker in Dellbrück neue Hinweise auf den organisierten Menschenhandel in Deutschland. Cornelsen, von den Ermittlern in die Enge gedrängt, nannte ein paar Namen, Gäste der nächtlichen Party vor zwölf Jahren, allesamt ehrenwerte Mitglieder der Gesellschaft, wie sich herausstellte. Politiker, Industrielle, Bankiers. Zwischen dem Düsseldorfer Justizministerium und der Kölner Staatsanwaltschaft stand daraufhin das Telefon nicht mehr still. Der Fall wurde alsbald zu den
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