Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
erschreckter starrte sie auf die Zellentür, die sich langsam öffnete.
    »Ich habe die Erlaubnis, Euch von dem Geschlachteten zu bringen, Fürstin. Ganz frisch!« Affra, die Köchin, hielt einen dampfenden Kessel in der Hand. »Wenn geschlachtet wird, denkt der Herrgott an alle.«
    Affra war eine Frau von vielleicht 20 Jahren, mit stets vor Wärme glühenden Wangen und tiefbraunen Augen.
    »Ich danke dir.« Gleichgültig musterte Anna ihre weißen Hände.
    Mit einem vorsichtigen Blick zurück schloss Affra die Zellentür von innen. »Wie geht es Euch?«
    Anna zuckte nur die Achseln. Dennoch freute sie sich, Affra zu sehen. Mit ihrem fröhlichen Wesen und den vielen kleinen Leckereien, die sie den entsprechenden Leuten an den Knotenpunkten der Macht auf der Veste Coburg zusteckte, verschaffte sich die junge Frau entscheidende Vorteile. Sie mochte Anna, und von Zeit zu Zeit gelang ihr ein Besuch in der Zelle.
    »Heute feiern alle. Es wird getrunken und so weiter. Ihr wisst schon!« Affra ließ sich mit einem Seufzer auf Annas Bettstatt fallen. »Heute passt keiner so genau auf Euch auf. Wollt Ihr nicht zugreifen?«
    Anna blickte auf das dampfende Fleisch und den Laib Brot, den Affra eifrig aus einem Tuch wickelte. »Nun esst schon! Niemandem ist geholfen, wenn Eure Kräfte verfallen!«
    Anna setzte sich neben Affra. Es war ungewohnt, einen Menschen neben sich zu haben. Anna verspürte den drängenden Wunsch, ihren Kopf an die Schulter der jüngeren Frau zu legen, um die Wärme und Lebendigkeit ihres Körpers zu spüren.
    »Es schmeckt, nicht wahr?«, fragte Affra, als Anna den ersten Teller geleert hatte.
    »Ja, danke.«
    »Man hört, der Herzog sei kränklich. Es soll ein Steinleiden sein.«
    »Er isst und trinkt zu viel«, entgegnete Anna ungerührt. Ihr früherer Gatte war noch nie ein Kostverächter gewesen. »Und bei den Frauen hat er auch nie eine Gelegenheit ausgelassen.«
    Affra legte mitfühlend die Hand auf Annas Knie. »Ulrich von Lichtenstein hat wieder einmal ein Gnadengesuch an den Herzog gesandt.«
    Annas Herz schlug schneller. Ulrich ... wie lange das her war. Fast 20 Jahre! Ihre Liebesbeziehung hatte Anna in diese Zelle gebracht; Ulrich saß im Totengräberturm unten in der Stadtmauer ein.
    Die Köchin seufzte. »Der Herzog hat abgelehnt.«
    »Die beiden waren einmal Freunde«, flüsterte Anna tonlos. »Ulrich und mein Gemahl.« Sie nannte den Herzog immer noch ›meinen Gemahl. Er quälte sie, demütigte sie und beraubte sie aller Rechte, die eine Frau haben konnte. Seit knapp 20 Jahren waren sie geschieden. Sie hasste ihn voll glühender Verachtung, aber wenn sie über ihn sprach, so war er ›mein Gemahl‹.
    »Es heißt, dass der Herzog wegen seines Leidens mittlerweile ein wenig milder gestimmt sei«, berichtete Affra. »Er gestattet, dass Ihr eine Kammerzofe bekommt.«
    »Eine Zofe?« Anna besah sich verwundert das Stück Brot, das in ihrer Hand lag.
    »Seit einem Jahr haben wir ein Mädchen hier. Sie heißt Agnes und macht sich gut. Sehr talentiert in der Küche. Ihr werdet sie mögen.«
    »Er will mich ausspionieren, nicht wahr?« Anna legte das knusprige Brotstück zurück auf den Teller. Immerhin war ihre Romanze mit Ulrich durch ihre damalige Zofe ans Licht gekommen. Ein kleines, schwächliches Ding, das selbst eine verbotene Beziehung zu einem Junker unterhielt und deshalb verhaftet worden war, wobei sie im Verhör dann auch Anna in den Schmutz zog. »Ich brauche keine Zofe.«
    Affra war so klug, nicht zu antworten. Draußen wurde es dunkel. Der Spätsommerabend war erfüllt von Musik und Gelächter aus dem Burghof.
    »Ich will keine Zofe!«, flüsterte Anna heiser. »Ich will niemanden!«
    Affra nahm den Fleischkessel.
    »Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Hoheit!« Sie ging.
    Verzweifelt lauschte Anna, wie der Schlüssel in ihrer Zellentür mehrmals umgedreht wurde. Sie hörte die Zuhaltungen einrasten. Dieses Entsetzen, wieder eingesperrt, erneut allein zu sein ... Tagtäglich hatte sie dieses Grauen zu ertragen. Die Aussichtslosigkeit ließ Anna dahinwelken. Johann Casimir gestattete ihr eine Zofe... Es musste ein abgekartetes Spiel sein! Sie sehnte sich nach Gesellschaft, doch sie hatte Angst vor der Heimtücke ›ihres Gemahls‹, den neuerlichen Quälereien, die er für sie erdacht haben musste. Es konnte keinen anderen Grund geben, warum er ihr Gesellschaft gestattete. Er plante etwas Gemeines, Gehässiges, und sie besaß weder die Kraft noch das Recht, sich dagegen zu wehren. Ihre

Weitere Kostenlose Bücher