Bittersuesser Verrat
und stellte sich zwischen sie und Myrnin. »Er meint es ernst.«
Das stimmte wirklich, denn Myrnin stürzte sich auf sie. Er war schneller als sie oder Michael je erwartet hätten. Weil Michael ihm im Weg stand, stieß Myrnin ihn beiseite, sodass er taumelnd in die nächstgelegene Steinwand krachte...
Dann packte er Claire an der Schulter und griff ihr mit der Hand ins Haar. Er zerrte ihren Kopf ruckartig zur Seite, legte ihren Hals frei und sie spürte seinen kühlen Atem auf ihrer Haut. Sie wusste, dass sie nur noch eine einzige Möglichkeit hatte.
Sie berührte mit der Spitze des Knochenpfahls seine Brust, direkt über seinem Herzen, und sagte: »Ich schwöre bei Gott, dass ich Sie pfähle und Ihnen den Kopf abschneide, wenn Sie mich beißen.« Ihre Hände zitterten, ebenso ihre Stimme, aber sie meinte es ernst. Sie konnte nicht in Angst vor ihm leben; es tat ihr weh zu sehen, wie er auf diese Weise die Beherrschung verlor. Myrnin hatte etwas Glänzendes und Gutes an sich, aber es gab Zeiten, in denen dies einfach in Finsternis versank. »Wenn ich das zulasse, werden Sie sich das nie verzeihen. Lassen Sie jetzt los und holen Sie sich eine Packung Blut!«
Sie konnte wirklich schon spüren, wie seine Vampirzähne kleine Grübchen in ihre Haut drückten. Und Myrnin zitterte jetzt selbst, ein sehr schwaches Beben, das ihr nur sagte, wie sehr er in Schwierigkeiten steckte - na ja, das und die Tatsache, dass er kurz davor war, sie umzubringen.
Sie drückte den Pfahl fester an seine Brust und spürte, wie das blaue Satingewebe der Spitze nachgab.
Sie sah nicht, wie sich Michael bewegte, aber wenige, atemlose Sekunden später war er an ihrer Seite und legte vorsichtig eine schwammige Tüte Blut in ihre freie Hand. Sie war direkt aus dem Kühlschrank; er hatte sich nicht die Zeit genommen sie aufzuwärmen, was wahrscheinlich lebensrettend war.
»Lassen Sie los«, sagte Claire.
Myrnin gehorchte. Er lockerte seinen Griff gerade genug, dass sie einen Schritt nach hinten machen konnte. Sein Blick war wild und verzweifelt und seine Vampirzähne blieben ausgefahren wie zwei glitzernde Ausrufezeichen.
Claire hielt ihm die Blutpackung entgegen.
Nach kurzem Zögern griff Myrnin danach, führte sie zum Mund und biss so fest hinein, dass ihm das Blut übers Gesicht spritzte, als hätte er in eine besonders saftige Tomate gebissen.
Claire schauderte. »Ich hole Ihnen ein Handtuch.«
Sie ging in das kleine Badezimmer - es war so gut versteckt, dass sie eine Ewigkeit danach suchte - und drehte den rostigen Hahn auf, um ein Handtuch anzufeuchten, auf dem EIGENTUM MORGANVILLES stand; wahrscheinlich stammte es aus einem Krankenhaus oder Gefängnis. Sie bespritzte ihr Gesicht mit etwas Wasser und betrachtete sich ein paar Sekunden lang im Spiegel. Eine Fremde blickte sie daraus an - jemand, der gar nicht mal so verängstigt aussah. Jemand, der gerade einem Vampir, der darauf erpicht gewesen war zu fressen, entgegengetreten war.
Jemand, der mit solchen Dingen umgehen und trotzdem mit ihm befreundet sein konnte.
Das Handtuch war jetzt vollgesogen. Claire wrang es aus, um das überschüssige warme Wasser zu entfernen, dann ging sie zurück, um ihrem Boss zu helfen, sich sauber zu machen.
***
Sie wusste, dass er sagen würde, wie leid es ihm tat, und das tat er auch - gleich nachdem sie ihm die Spritzer aus dem Gesicht gewischt hatte. Tomatensaft, redete sie sich selbst ein, als ihr bewusst wurde, was sie da tat. Es ist einfach nur Tomatensaft. Du hast auch schon den Matsch einer aufgeplatzten Ketchupflasche auf gewischt: das ist doch kein Problem.
»Claire« flüsterte Myrnin. Sie schaute ihn kurz an, dann sah sie aber wieder weg, weil sie versuchte, die schlimmsten Flecken von seiner Weste zu rubbeln. Er schien erschöpft und saß in seinem großen Ohrensessel aus Leder. »Es kam so plötzlich über mich. Ich konnte nicht... verstehst du? Ich wollte das nicht.«
»Ist das Ada zugestoßen, als sie noch am Leben war?«, fragte Claire. An seinen langen weißen Händen klebte auch Blut. Sie gab ihm das warme Handtuch und er wischte seine Finger daran ab, dann fand er eine saubere Stelle und schrubbte sein Gesicht noch einmal, auch wenn sie das Blut schon entfernt hatte. Er ließ das warme Handtuch dort verweilen, um seinen Gesichtsausdruck zu verbergen. Als er es sinken ließ, hatte er wieder die Kontrolle über sich erlangt. »Mit Ada und mir war es kompliziert«, sagte er. »Diese Situation ist ganz anders als jene damals.
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