Black Mandel
Rückspiegel. Er fuhr einen silbernen Jeep, in dem man sich vorkam wie im zweiten Stock eines Wohnhauses. Als würde man von oben herab Auto fahren, quasi aus der Vogelperspektive. Auf der Fahrt zu Aasens Haus versuchte ich weiterhin vergeblich, den Mandel zu erreichen.
»Was machen wir denn den ganzen Tag?«, fragte Vilde.
»Ich habe ein paar Karaokespiele für die PlayStation«, antwortete Aasen.
»Black-Metal-Karaoke?«, fragte ich, aber niemand ging auf den Witz ein.
Bei Aasen schauten Vilde und ich eine DVD an, während Aasen im Keller an seinem Rechner saß und irgendetwas Berufliches erledigte. Wir hatten uns in Aasens endlosen DVD -Regalen umgesehen und uns auf Don’t Look Now geeinigt, im Deutschen auch unter dem irrwitzigen Titel Wenn die Gondeln Trauer tragen bekannt. Weil wir beide das groteske Ende des Films schon kannten, war es der Weg dahin, der uns vornehmlich interessierte. Wir mussten nicht mehr zwingend der Haupthandlung folgen, sondern konzentrierten uns ausschließlich auf die Vorzeichen, die das morbide Finale des Films andeuteten, und diskutierten darüber, welche der Regisseur – Name vergessen – mit Vorsatz ausgelegt hatte und welche nur unserer Vorkenntnis des Endes entsprangen. Vilde hatte ihre langen Beine in einer sehr kurzen Hose und einer blickdichten schwarzen Strumpfhose auf dem Sofatisch ausgestreckt, und selten war es mir so angenehm, dass mir jemand mit seinen Beinen die Sicht auf den Fernseher verdeckte. Über alle Unbill dieser Tage konnte ich hinwegsehen, solange ich in Vildes Nähe war. Wie eine Heilige strahlte sie jegliches Elend mit ihrer Ruhe einfach in Grund und Boden.
Aasens riesiger Flachbildfernseher war an die Haus-Stereoanlage angeschlossen, und die verfügte über zahlreiche in die Wand eingelassene wattstarke Lautsprecher. Insofern war die Etage akustisch voll und ganz von dem Film eingenommen, und das klirrende Geräusch des durch die Fensterfront fliegenden Molotow-Cocktails erschreckte uns kaum. Aus dem Augenwinkel verfolgte ich fast teilnahmslos, wie die Champagnerflasche durch das Fenster auf dem Holzboden neben einem CD -Stapel aufschlug und sich sofort ein kleines Feuer ausbreitete, wo die Flüssigkeit austrat. Während Donald Sutherland unter ohrenbetäubender klassischer Musik seine Frau auf dem Beerdigungsboot vorbeifahren sah und nach ihr rief, riss ich mit meinem linken Arm den Kopf von Vilde herunter und zog sie mit mir auf den Boden, während die zweite Flasche über uns durch die Scheibe geflogen kam und den weißen Teppich vor dem Fernseher in Brand setzte. So eine extravagante Villa und dann doch nur das Billigglas, muss man auch mal sagen. Immerhin ging die Alarmanlage an.
»Scheißdreck«, sagte ich, und Vilde vergrub ihren Kopf in meinem Hemd. Innerhalb weniger Sekunden entwickelte sich ein schwarzer Rauch, und es war wohl der oft in der Spannungsliteratur beschriebene Überlebensinstinkt, der mich Vilde an der Hand hinter mir her durch den Raum ziehen ließ wie ein kleines Kind. Vorbei an der Treppe, die hinunter in Aasens Studio führte, direkt zur Haustür. Sobald die Tür hinter uns ins Schloss gefallen war, zog Vilde an ihr, aber natürlich blieb sie zu. Auf der anderen Straßenseite sah ich einen Nachbarn aus dem Haus laufen.
»Es brennt«, sagte ich wie zur Entschuldigung. Aasen fiel mir ein. Siedend heiß fiel er mir quasi ein. An der Rückseite der Villa war ein großer Garten, eigentlich mehr eine Wiese. Es gab dort eine ebenerdige Terrasse, von der aus eine Holztür in den Wohnbereich führte, aber auch eine Treppe hinunter ins Studio. Ich rannte ums Haus herum, Vilde hinter mir her. Dann die Treppe zum Studio hinunter. Die Tür war nicht abgeschlossen. Vilde war immer noch hinter mir.
»Warte draußen«, sagte ich, während ich die Tür nach außen aufriss und sie ihr fast gegen den Kopf gehauen hätte.
Aasens Arbeitsbereich bestand aus zwei riesigen Räumen, der eine war das Aufnahmestudio, in dem wir die Dark-Reich-Videobotschaft gedreht hatten, der andere war eine Art Großraumbüro mit mehreren Schreibtischen und Computern. An einem der Schreibtische in der Mitte des Raums saß Aasen mit einem Kopfhörer und klickte hoch konzentriert auf seiner Maus herum.
»Es brennt«, schrie ich, aber in Aasens Welt war ich nur jemand mit einem verrückten Gesichtsausdruck, dessen Mund wie manisch Worte formte.
»Hau ab! Ich arbeite!«, schrie Aasen aus der Isolation seines Kopfhörers heraus auf mich ein. Ich schlug ihm den
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