Blackmail: Thriller (German Edition)
Während ich hinsehe, wird aus Mia Drew – nicht der Drew, wie ich ihn heute kenne, sondern der wunderbare Knabe, der das Firmament der St. Stephen’svor mehr als zwanzig Jahren überstrahlte. Ich blinzele einmal, und aus Drew wird Ellen, aus Ellen Kate, bis ich jegliches Gefühl für mein Gleichgewicht verliere, obwohl ich in meinem eigenen Wagen und auf fester Erde bin. Ich lege den Gang des Saab ein, schleudere auf die Cemetery Road und jage in Richtung Stadt davon. Doch ein einziger Blick in den Rückspiegel zeigt mir, was ich bereits weiß: Der Drehengel starrt mir hinterher.
28
C aitlin und ich sitzen in einem kleinen privaten Speiseraum im Castle, dem besten Restaurant von Natchez. Das Gebäude ist eine renovierte Remise hinter dem Dunleith, dem ältesten Vorbürgerkriegshaus der Stadt. Dunleith ist eines von mehr als achtzig dieser Herrenhäuser, ein kolossaler neoklassizistischer Palast, der selbst die berühmten Herrenhäuser aus Vom Winde verweht verblassen lässt. Es steht inmitten eines fünfzehn Hektar großen Parks im Zentrum der Stadt und ist heute ein hochklassiges Bed-and-Breakfast-Hotel, während das Castle, benannt nach den beiden gotischen Nebengebäuden in der Nähe, dazu da ist, für das leibliche Wohl der Gäste zu sorgen und nebenbei auch noch für das der Einwohner von Natchez.
Caitlin und ich sind nicht zusammen hergekommen. Wir haben uns erst hier getroffen. Sie kam aus der Zeitungsredaktion, ich von zu Hause, wo ich Annie und Mia zurückgelassen habe. Wir haben immer noch nicht von Angesicht zu Angesicht miteinander geredet, seit sie gestern Nacht in ihr eigenes Haus gegangen ist.
Ich war überrascht, den Hauptsaal des Restaurants überfüllt vorzufinden, als wir eintrafen, also bat ich den Maître, unseinen Tisch in dem kleinen privaten Speiseraum zu geben. Der Besitzer des Dunleith ist ein Fan meiner Bücher, deswegen wurde meine Bitte sofort erfüllt.
»Bekommst du diese Behandlung auch in New York?«, fragt Caitlin lächelnd.
»Keine Chance. Sie würden mich neben die Toiletten setzen.«
Wir bestellen Krabbenpasteten als Vorspeise; dann legen wir unsere Menukarten beiseite und sehen uns einfach nur für eine Weile an. Genau wie gestern Nacht üben ihre leuchtend grünen Augen einen hypnotischen Einfluss auf mich aus. In diesem blassen Gesicht, eingerahmt von diesem pechschwarzen Haar, scheinen sie fast ein Eigenleben zu führen.
»Lockere Unterhaltung oder große Probleme?«, fragt sie schließlich.
»Ich finde, wir schulden es uns und Annie, ein paar Dinge zu klären.«
Caitlin nickt zustimmend. »Annie hat mich angerufen, als sie heute aus der Schule kam. Sie hat gefragt, ob ich heute Abend mit ihr einen Film ansehe.«
»Sie hat mir erzählt, du hast Ja gesagt.«
»Ich habe sie vermisst.«
Warum hast du dich dann nicht bei ihr gemeldet? »Ich möchte, dass wir ein paar Regeln für diese Unterhaltung aufstellen, okay?«
Caitlin sieht mich fragend an.
»Absolute Aufrichtigkeit«, sage ich zu ihr. »Keine Beschönigungen.«
»Das konnten wir immer gut, nicht wahr?«
»Tatsache?«
»Ich glaube schon.«
Der Kellner erscheint und schenkt zwei Gläser gekühlten Weißwein aus. Ich warte, bis er wieder geht. »Wir sind inzwischen seit fünf Jahren zusammen, Caitlin. Ich kann es kaum glauben, aber es ist so.«
»Mir kommt es eher wie zwei Jahre vor.«
»Ich weiß. Es ist einfach, die Zeit davonfliegen zu lassen. Viel zu einfach. Okay, hier kommt die Frage, die ich dir als Erstes stellen möchte: Möchtest du immer noch den Rest deines Lebens mit mir zusammen verbringen?«
Sie sieht mich ungläubig an. »Aber natürlich! Ich kann mir nicht vorstellen, mit jemand anderem zusammen zu sein!«
»Wenn das stimmt, dann verstehe ich nicht, warum du so viel Zeit woanders verbringst.«
»Das verstehst du nicht?«
»Im Grunde genommen warst du in den vergangenen fünf Jahren so etwas wie eine Mutter für Annie. Zumindest wenn du hier warst. Aber sie wird älter, Caitlin. Sie ist schon neun. Sie braucht mehr, als du ihr in der letzten Zeit gegeben hast. Und ich weiß nicht, ob du bereit bist, ihr mehr zu geben.«
Ich entdecke Spuren von Tränen in Caitlins Augen, doch sie schweigt.
»Ich sage nicht, dass es deine Pflicht ist, mehr zu geben. Ich weiß, dass du es gerne tun würdest. Doch tatsächlich die Zeit und Mühe aufzuwenden, um es zu tun, ist ein himmelweiter Unterschied.« Mein Gott, ich klinge wie meine Eltern! Caitlin sieht mich aufmerksam an, doch sie spricht immer
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