Blackmail: Thriller (German Edition)
bereit bist, okay?«
»Okay.«
Sie schenkt mir eines ihrer katzenhaften Lächeln. »Könnten wir nicht für den Augenblick einen Waffenstillstand vereinbaren und die Feindseligkeiten morgen früh wieder aufnehmen?«
Ich nehme ihre Hand.
»Iss deine Ente«, sagt sie. »Annie wartet schon auf uns, und ich möchte nicht, dass der Film die ganze Nacht dauert.«
Zwei Stunden später sitze ich im schwachen Lichtschein des Flachbildschirms in meinem Home Theater, einem umgebauten Gästezimmer im ersten Stock. Annie hat es sich zwischen Caitlin und mir bequem gemacht, und ihre Augen sind an den Bildschirm gefesselt, wo Nemo munter den Ozean durchschwimmt. Über Annies Kopf spiele ich mit den weichen Haaren am Ansatz von Caitlins Hals. Die letzten Minuten unseres gemeinsamen Abendessens im Castle waren so natürlich und heiter, als hätte es zwischen uns in den letzten Monaten keine Spannungen gegeben. Doch trotz des in der Luft liegenden Versprechens von Sex scheint irgendetwas nicht in Ordnung.
Es ist zu lange her, seit Caitlin und ich miteinander geschlafen haben. Ich vermisse es mindestens so sehr wie sie, und doch … irgendetwas schließt das Verlangen kurz, das ich empfinden müsste. Der Pessimismus in ihrem Dinner-Vortrag hat mich tief getroffen, und einiges von dem, was sie gesagt hat, hat mich verletzt. Caitlin hatte eine durch und durch liberale Einstellung, als sie vor fünf Jahren nach Natchez kam, und sie hat mich fast schon gewohnheitsmäßig damit aufgezogen, dassich zu konservativ wäre. Und jetzt sieht es so aus, als wären ihre liberalen Überzeugungen weniger »Überzeugungen« gewesen, sondern vielmehr oberflächliche Meinungen, die sie aus den Vorlesungen irgendwelcher Professoren der Ivy League mitgebracht hat. Nach ein paar Jahren im Süden ist sie bereit, das Ideal eines harmonischen Miteinanders der Rassen aufzugeben und in »erleuchtetere«, sprich homogene Gegenden zu flüchten.
Was mein sexuelles Verlangen angeht – ich stehe schon seit Wochen unter Überdruck. Genau wie Drew habe ich mich bewusst von vielen Frauen abgewendet, die bereit gewesen wären, diese Spannung zu lindern. In einer Kleinstadt wie dieser, wo Frauen sich angesichts der eingeschränkten Möglichkeiten rasch langweilen, finden sich ständig Gelegenheiten. Tag für Tag präsentieren diese Frauen der Welt eine perfekt frisierte und manikürte Lady, doch im Innern sind sie wie gefangene Panther, die sich in ihren Käfigen hin und her bewegen. Ich habe während Caitlins Abwesenheit noch keinen Trost bei ihnen gesucht, doch heute Nacht, während Caitlin in Erwartung von Sex neben mir liegt, will ich ebenfalls keine Entspannung. Es ist ein Dilemma, doch meine Lösung ist einfach und seit Urzeiten erprobt, wenn auch noch niemals von mir.
Ich schlafe ein.
Ich glaube nicht einmal, dass Caitlin viel dagegen haben wird. Sie hat ihr Handy während des Films wenigstens ein halbes Dutzend Mal auf eingegangene Textnachrichten überprüft. Und ganz gleich, wie verständnisvoll zu sein ich mich bemühe, es ärgert mich. Doch das sind nur die kleinen Probleme. Mein eigentliches Dilemma ist viel größer, und ich muss mich entscheiden zwischen zwei Gegensätzen: Liebe oder Pflicht?
Eine Frau oder eine Stadt?
29
S onny Cross’ Beerdigung unterscheidet sich sehr von den Beisetzungen Kate Townsends und Chris Vogels. Der Gedenkgottesdienst findet nicht in einer Kirche statt, sondern in der Innenstadt in McDonough’s Funeral Home. Die für die Familie reservierten Bänke sind voll, doch im hinteren Teil des Zeremonienraums gibt es ein paar freie Reihen. Viele Trauergäste sind Cops, die meisten von ihnen in Uniform. Sonnys flaggengeschmückter Sarg steht vorne im Mittelgang, und auf einer Staffelei rechts davon steht ein Bild von ihm als jüngerer Mann.
Der Gottesdienst wird von dem älteren Baptistenpfarrer der Second Creek Baptist Church gehalten, einer der rückständigsten weißen Kirchen im Land und in den schlechten alten Zeiten eine Gegend, in der der Klan stark vertreten war. Der Pfarrer hält eine Predigt des Zorns und nicht der Liebe. Er macht seiner »gerechten Empörung« Luft, einen Mann verloren zu haben, der sein Leben dafür gegeben hat, dass wir anderen in Frieden leben können. Ich bin mit dem Ton des Pfarrers nicht einverstanden, doch ich vermag seinen Argumenten nicht zu widersprechen. Als er mit der Lobrede beginnt, erfahre ich etwas, das mir bisher nicht bekannt gewesen ist: Sonny war bei der Army und in
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