Blade Runner Ubik Marsianischer Zeitsturz
Kolonisierung vergessen. Erst heute Morgen hatte er zum Beispiel in der UN-Zeitung von einem Aufruhr in den StraÃen der Elektriker-Siedlung gelesen; der Zeitungsbericht lieà durchblicken, dass die nahegelegene italienische Siedlung dafür verantwortlich sei, weil einige Unruhestifter diesen langen pomadisierten Schnurrbart getragen hatten, der in der italienischen Kolonie so beliebt war â¦
Ein Klopfen an der Sprechzimmertür riss ihn aus seinen Gedanken. »Ja«, sagte er und schob die Rechnung über die Dachreparatur in eine Schublade.
»Bist du für Gildebruder Purdy zu sprechen?«, fragte seine Frau, als sie die Tür berufsmäÃig öffnete, so wie er es ihr beigebracht hatte.
»Schick Gildebruder Purdy herein«, sagte Dr. Glaub. »Wart aber ein paar Minuten damit, ich muss erst noch seine Fallgeschichte überfliegen.«
»Hast du schon zu Mittag gegessen?«, fragte Jean.
»Natürlich. Jeder isst zu Mittag.«
»Du siehst blass aus«, sagte sie.
Das ist schlecht, dachte Dr. Glaub. Er ging vom Sprechzimmer ins Bad, wo er sorgfältig sein Gesicht mit dem karamelfarbenen Puder, der gerade in Mode war, dunkler
tönte. Es verbesserte sein Aussehen, aber nicht seine geistige Verfassung. Die Theorie hinter dem Puder war die, dass die herrschenden Kreise in der GIT spanischer und puerto-ricanischer Herkunft waren und es sie einschüchtern könnte, wenn ein Lohnarbeiter hellere Haut hatte als sie selbst. Die Werbung drückte es natürlich anders aus; die Werbung wies die Lohnarbeiter in der Siedlung lediglich darauf hin, dass »das Marsklima dazu neigt, den natürlichen Hautton zu einem unansehnlichen Weià auszubleichen«.
Jetzt wurde es Zeit, sich seinem Patienten zu widmen.
»Guten Tag, Gildebruder Purdy.«
»Tag, Doc.«
»Ich sehe in Ihrer Akte, dass Sie Bäcker sind.«
»Ja, stimmt.«
Pause. »Weshalb wünschen Sie meinen Rat?«
Gildebruder Purdy starrte zu Boden und nestelte an seiner Mütze herum, während er sagte: »Ich bin noch nie bei einem Psychiater gewesen.«
»Nein, ich kann hieraus entnehmen, dass das stimmt.«
»Da ist diese Party, die mein Schwager gibt ⦠Mir liegt nichts daran, auf Partys zu gehen.«
»Müssen Sie denn hingehen?« Dr. Glaub hatte unauffällig die Uhr auf dem Schreibtisch gestellt; sie tickte die halbe Stunde herunter, die dem Gildebruder zustand.
»Die geben sie eigentlich für mich. Sie ⦠äh ⦠wollen, dass ich meinen Neffen als Lehrling nehme, damit er dann später in der Gilde ist.« Purdy sprach leiernd weiter: »⦠und ich habe nachts wach gelegen und überlegt, wie ich da wieder rauskomme â ich meine, es sind meine Verwandten, und ich kann wohl schlecht ankommen und nein sagen. Aber ich kann einfach nicht hingehen, dazu fühle ich mich nicht gut genug. Und darum bin ich jetzt hier.«
»Verstehe«, sagte Dr. Glaub. »Also, dann erzählen Sie mir mal Näheres über die Party, wann und wo sie stattfinden soll, die Namen der beteiligten Personen, damit ich alles perfekt erledigen kann, wenn ich dort bin.«
Erleichtert kramte Purdy in seiner Manteltasche und brachte ein sauber getipptes Dokument zum Vorschein. »Ich weià es wirklich zu schätzen, dass Sie an meiner Stelle gehen wollen, Doc. Ihr Psychiater nehmt einem eine ungeheure Last ab â ich scherze nicht, wenn ich sage, dass ich deswegen schon schlaflose Nächte hatte.« Er staunte den Mann vor ihm in dankbarer Ehrfurcht an, diesen Mann, der sich auf sozialen Umgang verstand, der fähig war, auf dem schmalen, gefährlichen Grat der vielfältigen zwischenmenschlichen Beziehungen zu wandeln, auf dem im Laufe der Jahre so viele Gildemitglieder gescheitert waren.
»Zerbrechen Sie sich darüber nicht weiter den Kopf«, sagte Dr. Glaub. SchlieÃlich, dachte er, was ist schon eine kleine Schizophrenie? Das ist es nämlich, was dir fehlt, weiÃt du? Ich befreie dich von deinem gesellschaftlichen Druck, und du kannst weiter in deinem chronischen Zustand unzureichender Anpassung verharren, wenigstens ein paar Monate lang. Bis die Gesellschaft wieder mit einer dramatischen Forderung an dich herantritt, die deine begrenzten Fähigkeiten übersteigt â¦
Als Gildebruder Purdy das Sprechzimmer verlieÃ, sann Dr. Glaub darüber nach, dass diese Form der Psychotherapie, die sich hier auf dem Mars entwickelt
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