Blanche - Die Versuchung
Abermals schwieg er einen Moment, als wäre er nicht sicher, ob er die nächsten Worte aussprechen sollte. Enzo hörte , wie er ausatmete. „Das mit där Chilfä war main Ärnzt. Wir baide wissen, das Zooay noch da drau ß en ist.“
Konnte es sein, dass Zoey, dieses kleine Wiesel, darauf aus war, die schw e lenden Auseinandersetzungen zwischen den führen den Mafiaorganisationen zur Eskalation zu bringen? Und während Enzo sich mit Sergej herumschlug, trat dieser Moskauer Bastardo in das Vakuum und übernahm die Zügel. „Weißt du , wo er sich verkrochen hat?“
„Nooch nicht, aber maine Mänär sind an ihm draan. Nur värschwindet er immer daan, wenn wir aanrücken.“
„Dann ruf mich an, wenn du ihn das nächste Mal aufspürst. In dieser A n gelegenheit haben wir gemeinsame Interessen, dannazione . “
„Frooid mich, dass du das aauch so siehst“, bemerkte Sergej und legte auf.
Als Blanche die Augen aufschlug , brauchte sie einen Moment , um sich zu orientieren. Sie lag in hellgrauen Seidenlaken eines modernen Kirschholzbe t tes und blickte auf die Stuckverzierungen einer weiß getünchten Zimmerd e cke. Eine Bewegung zu ihrer Linken ließ sie den Kopf drehen – zu schnell, denn sie zuckte unter dem Schmerz zusammen und zog die Luft ein.
„Lentamente!“, sagte eine bekannte Stimme.
Blanche setzte sich vorsichtig auf und richtete den Blick auf Nella, die ihr ein Glas Wasser reichte. Durstig leerte sie es und ließ zu, dass Nella ihren Puls fühlte.
„Nicht so schnell“, mahnte sie und nahm ihr das leere Glas ab.
„Wo sind wir hier?“
„In einem von Enzos Maisons de sécurité im 16. Bezirk, in das er Marcel einquartiert hat.“
Na toll! Die Kids lebten in einem schäbigen Warenlager, während Enzos V IP’s eine Villa in seinem Nobelarrondissement bezogen. Apropos. „Wie geht es Marcel?“
„Fit wie ein Turnschuh. Anscheinend hast du das Meiste abbekommen. Hast ihn mit deinem Körper abgeschirmt.“
Blanche zog eine Grimasse. Alte Bodyguardangewohnheit, immerhin g e hörte es vier Jahre zu ihrem Job, ihn zu beschützen.
„Er ist auch nicht gerade glücklich deswegen“, ergänzte Nella. „Ihm wäre es lieber, wenn es umgekehrt gewesen wäre. Zumindest hat er so ausges e hen . “
Sie half Blanche auf die Beine und ins Badezimmer, wo sie sich mit steifen Bewegungen auszog. Während sie duschte , plapperte Nella ohne Punkt und Komma. Dass Enzo ihr am Vortag verboten hätte , das HQ zu verlassen. Aber nachdem sie von der Explosion gehört hatte, musste sie kommen. Dass sie sich Enzo zuliebe das Fluchen abgewöhnen wollte. Und dass Enzos Sohn sie nicht ausstehen konnte. Dass er sie verspottete und sich bei jeder Gel e genheit über sie lustig machte.
„Er respektiert mich nicht“, beklagte sie sich, als Blanche das Wasser a b drehte und sich ein Handtuch schnappte.
„Er lacht hinter meinem Rücken mit seinen Freunden über mich.“
„Warum lachst du nicht mit ihnen?“
Nella sah sie fragend an.
„Wenn du mitlachst, macht das Spiel keinen Spaß mehr und sie verlieren die Lust daran.“
Mittlerweile hatte Blanche sich an diese Art von Gesprächen gewöhnt. A n fangs wusste sie nicht , was Nella von ihr erwartete, wenn sie vorbeikam und sie zuquatschte. Bis sie begriff, dass Enzos Freundin einsam war. Sie hatte wie Blanche lange auf der Straße gelebt, wo man im besten Fall Verbündete fand. Freundschaften waren eine Seltenheit, denn im Zweifel musste man sich für sich selbst entscheiden, sonst konnte man gleich einpacken. Mit v ierzehn war Nella einem von Enzos Zuhältern in die Arme gelaufen, der sie als Prostituierte arbeiten ließ. Und nun steckte sie in einer Situation, mit der sie nicht umgehen konnte. Es war nicht möglich , die Vergangenheit über Nacht abzustreifen wie eine alte Haut. Enzo benutzte sie als Betthäschen und gelegentlich als arm candy . Nella wusste nicht, was er von ihr erwartete, und er machte keine Anstalten , sie in seine Pläne einzuweihen. Für Nella war alles ein Test und sie hatte nicht vor , durchzufallen. Sie wollte diese zweite Chance, brauchte sie, um weiterzumachen. Wenn sie wieder im Straßendreck landen würde, wäre das ihr Ende.
Vielleicht bedeutete Nella ihm sogar etwas. Immerhin hatte er sie zur Th e rapie geschickt und ließ sie zusammen mit seinem Sohn am Privatunterricht teilnehmen.
„So einfach ist das nicht“, rief Nella und hob das Handtuch auf, das Bla n che auf den grauen Schieferboden des Badezimmers fallen
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