Blaubeertage (German Edition)
mir immer für schlechte Laune. Und die Entdeckung des leeren Puppenkartons hinten im Lagerraum hat mir klargemacht, dass es um den Laden noch schlechter bestellt ist, als ich dachte. Ich hatte gehofft, dass wir immerhin schwarze Zahlen schreiben; jetzt weiß ich, dass dem nicht so ist. Aber die Tatsache, dass meine Mom dieser Kundin ihre Puppe bestellt und zum EINKAUFSPREIS verkauft hat, macht mir noch etwas anderes klar: Meine Mom hat vielleicht nicht genügend Geschäftssinn, um uns aus unserer finanziellen Misere zu befreien. Sind wir kurz davor, obdachlos zu werden? Ich spüre die Bürde auf meinen Schultern und habe keine Ahnung, wie ich mit der Extralast fertig werden soll.
Ich schnappe mir meinen Rucksack und verlasse den Laden. Als ich nach draußen trete, prickelt die kalte Luft auf meinen Wangen. Ich bin ein Stück gegangen, da taucht Xander an meiner Seite auf und reicht mir meine Schoneinmal-daraus-getrunkene-heiße-Schokolade. Ich genieße die Wärme, die sich in meinem Mund und in meiner Kehle ausbreitet. Ich kann nicht glauben, dass wir schon die ganze Woche zusammen zur Schule gegangen sind. Ich verberge mein Grinsen, indem ich noch einen langen Schluck nehme.
»Alles in Ordnung?«
Ich schaue ihn an. Er betrachtet mich kritisch.
»Was? Aber klar doch.«
»Normalerweise schießt du sofort mit irgendeiner sarkastischen Bemerkung los.«
Kennt er mich bereits so gut? »Brauchst du mich für deine essentielle Tagesration an Beleidigungen?«
»Schon besser.« Er hüstelt. »Okay, neues Spiel. Eine Herausforderung, wenn man so will.«
»Ich höre.«
»Du weißt nicht, was du mit deinem Leben anfangen sollst. Ich weiß nicht, was ich mit meinem anfangen soll. Wir beide wissen aber, dass wir die Finger von Puppen und Hotels lassen wollen.«
»So ausgedrückt klingt’s echt drastisch, aber ich kann dir folgen.«
»Ich werde also herausfinden, was du wirklich willst, und du wirst das Gleiche für mich tun.«
»Äh, was?«
»Ich werde versuchen herauszufinden, was du später gerne mal machen möchtest.«
»Wie denn das?«
»Indem ich es austeste. Berufsinformationstage, wenn man so will. Ich werde den ersten vorbereiten. Morgen, dreizehn Uhr. Halte dich bereit.«
»Morgen ist Samstag. Musst du dir da nicht ein Tennisspiel anschauen oder so?«
»Was? Nein. Ich hasse Tennis.«
Ich sehe mich um. »Du solltest vielleicht lieber etwas leiser sprechen, wenn du so was von dir gibst. Du willst doch nicht aus dem Club geworfen werden.«
»Versuchst du dich gerade aus deinem ersten Berufsinformationstag zu schummeln?«
»Samstags arbeite ich.«
»Höchste Zeit, deiner Mom mal die Wahrheit zu sagen.«
Ich führe mir unseren großen Tischkalender, der auf der Arbeitsplatte hinter dem Tresen liegt, vors Auge. Rufe mir ins Gedächtnis, wie ich ihn mit meiner Mom am Anfang des Monats ausgefüllt habe, so, wie wir es immer tun. »Wir haben eine Geburtstagsparty. Es ist völlig ausgeschlossen, dass ich sie damit alleine lasse.« Aber nach der Party vielleicht …
Er sagt kein Wort, schaut mich bloß mit hochgezogener Augenbraue an. Die Last auf meinen Schultern wird schwerer und mich überkommt die Wut. Warum bin ich für den Laden meiner Mom verantwortlich? Warum habe ich keine Wahl, was meine Zukunft betrifft?
»Okay, dreizehn Uhr.«
Der Samstag kommt und ich habe meiner Mom immer noch nichts von meinem Vorhaben erzählt. Mein kurzer innerlicher Wutausbruch ist sofort verebbt und hat sich in Schuldgefühle verwandelt. Meine Mom ist gestresst und der Laden pleite. Nicht gerade der passende Moment, um zu rebellieren. Bloß, würde es je einen passenden Moment geben? Ein Nachmittag bedeutet ja nicht gleich den Untergang des Ladens … wenigstens hoffe ich, dass es das nicht tut.
Laut Kalender haben wir wirklich eine Geburtstagsparty von zehn bis zwölf. Perfekt eigentlich, dass ich noch helfen und mich dann rechtzeitig fertig machen kann, um mit Xander loszufahren. Mit Xander loszufahren. Zu einem Date. Kann man das so bezeichnen? Ich versuche, mir ein Lächeln zu verkneifen, aber mein Gesicht scheint bei diesem Gedanken lächeln zu wollen. Ich weise mein Gesicht darauf hin, dass Xander es Berufsinformationstag genannt hat, und das scheint zu helfen.
Meine Mom ist im Hinterzimmer und bereitet die Party vor, während ich vorne im Laden sitze. Ich weiß, dass ich mit ihr reden muss, aber ich versuche, Zeit zu schinden. Diese Sache mit dem Schuldgefühl bereitet mir Bauchschmerzen. Der Laden ist leer. Ich
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