Blaubeertage (German Edition)
allerdings immer noch nicht darauf gekommen, weswegen wir hier sind.
Nachdem wir jede Menge ähnlich aussehender Gebäude passiert haben, gehen wir in eines hinein. Am Ende des Flurs klopft Lucas an eine Tür. Ein Mann mit Brille öffnet mit einem Lächeln. »Hallo, kommt rein.«
Mein Blick wandert durch den Raum. Mikroskope, Bunsenbrenner, Glasfläschchen, Glasbehälter, Petrischalen. Der Fachbereich für Naturwissenschaften. Der Mann – ein Laborassistent vielleicht? – sagt: »Du überlegst, Naturwissenschaften zu studieren, wenn ich das richtig verstanden habe.«
Meine Lungen fühlen sich an, als würden sie gleich platzen. »Ja.«
Er informiert mich über die verschiedenen Berufe, die man nach dem Diplom ergreifen kann. Medizin, Forensik, Forschungsanalytik und so weiter und so weiter. Fast alles, wovon er spricht, klingt für mich interessant.
»Komm mit«, sagt er und führt mich zu einem Mikroskop. »Ich wollte gerade diese Blutprobe hier analysieren. Wonach ich suche, ist die Anzahl der weißen Blutkörperchen pro Einheitsquadrat. Wenn du einfach mal einen Blick durchs Mikroskop wirfst und sie für mich zählst, kann ich sehen, ob dein Ergebnis mit meinem übereinstimmt.«
Ich befolge seine Anweisungen und teile ihm mein Ergebnis mit. Er schreibt es in einen Kasten auf einem Zettel, der neben dem Mikroskop liegt. Dann geht er zu einem Glasständer und nimmt ein Röhrchen heraus. Ich darf mit einer Kanüle hineinstechen und einen anderen Tropfen Blut auf einen Objektträger träufeln, um ihn auch noch zu analysieren. Danach holt er verschiedene in Petrischalen angelegte Bakterienkulturen hervor und erklärt mir, woher sie stammen und was sie bedeuten. Er zeigt mir auch ein paar alte Polizeiakten für Studienzwecke, anhand derer DNA und Todesursache bestimmt wurden.
Ich weiß, dass mir die Ehrfurcht ins Gesicht geschrieben steht, denn als ich zu Xander rüberschiele, hat er das breiteste Lächeln aufgesetzt, das ich je bei im gesehen habe.
»Hast du als Hauptfach Naturwissenschaften belegt, Lucas?«
»Nein, Architektur. Das ist nur einer meiner Kurse. Und Rick hier ist mein Zimmerkumpel. Er ist Dr. Fendermans Assistent.«
»Hat Dr. Fenderman uns hierhergelockt, damit er uns als zukünftige Versuchskaninchen benutzen kann?«
»Ja, der nächste Stopp der Tour sind die Käfige.«
»Cool. Testet ihr zufällig gerade irgendwelche Impfungen? Die Jungen hier könnten eine verheerende Krankheit gebrauchen, um sich vor einer Benefizgala zu drücken.«
»Mein Beileid«, sagt Rick. Sind denn alle auf der Welt, außer mir, schon auf einer Benefizgala gewesen? Rick spannt einen weiteren Objektträger ein und ich spähe durch das Mikroskop. Lucas und Rick unterhalten sich, und während ich den Objektträger in Augenschein nehme, spüre ich ein Kitzeln im Nacken.
»Und, macht’s Spaß?«, fragt Xander. Ich spüre ihn jetzt dicht hinter mir und seine Körperwärme lässt mir eine Gänsehaut über den Rücken laufen.
»Ja. Das ist so fantastisch.«
»Ich hab dich noch nie so glücklich gesehen.«
Ich bin auch noch nie so glücklich gewesen. Ich schaue immer noch durch das Objektiv auf den Träger, mein Blick verschwimmt aber, weil Xanders Atem meinen Nacken streift. Mein Körper reagiert auf ihn, als könnte er nicht anders, und ich lehne mich an seine Brust.
Er legt seine Arme um meine Schultern. »Du solltest Naturwissenschaften studieren. Nicht unbedingt hier, aber es passt zu dir. Ich sehe dich schon vor mir, so süß in diesem weißen Laborkittel.«
Ich lächele. »Das ist eine gute Idee. Vielleicht in einem Jahr.« Ich werde mindestens ein Jahr aussetzen, um meiner Mom zu helfen, das steht fest.
»Caymen.« Seine Stimme klingt missbilligend, als wüsste er, was ich gerade denke. »Das wäre ein Fehler.«
»Na ja, ich hab nicht so viele Möglichkeiten, Xander.«
»Du hast so viele Möglichkeiten, wie du dir selbst zugestehst.«
Ich lache ein bisschen. Er hat so viele Möglichkeiten, wie er sich selbst zugesteht. Der Rest von uns muss sich damit begnügen, was geboten wird. »Warum liegt dir so viel daran?«, flüstere ich.
Für eine Sekunde denke ich, dass er mich nicht gehört hat, weil ich mit dem Rücken zu ihm stehe, während seine Arme immer noch um meine Schultern liegen, aber dann sagt er: »Weil du mir wichtig bist.« Ich schließe meine Augen für einen kurzen Moment und spüre seine Worte, spüre ihn.
Ich möchte es geschehen lassen, aber irgendetwas hält mich weiterhin zurück. Ich
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