Bleib bei mir, kleine Lady
auszudenken, was da hätte passieren können!“ sagte Gracila leise.
„Also, wirklich! Dankgottesdienste sollten sie in jeder Kirche des Landes abhalten.“
„Da haben Sie recht. Die Königin zu verlieren – das wäre schrecklich.“
Nach dem alten William IV., der weiß Gott nicht wie ein König ausgesehen hatte, eine so junge Frau als Königin zu haben, fand Gracila sehr romantisch und aufregend.
„Ich bin wirklich froh, daß der Königin nichts passiert ist“, sagte sie voll Mitgefühl.
„Also, das wäre wirklich nicht auszudenken gewesen, wenn die Königin morgen nicht hätte hierherkommen können.“
„Morgen?“ fragte Gracila.
„Also, wissen Sie denn nicht, daß Ihre Majestät in Newberg ein Krankenhaus einweiht und danach an einer Gartenparty teilnimmt, die der Marquis von Lynmouth ihr zu Ehren gibt?“
„Ach ja, natürlich“, antwortete Gracila. „Ich habe davon gehört, wußte aber das Datum nicht mehr.“
Und da fiel Gracila plötzlich ein, daß man den 31. Mai schrieb und sie an diesem Tag hätte heiraten sollen.
Da sie mit den eigenen Vorbereitungen beschäftigt gewesen war, hatte sie nicht mehr an das Gartenfest gedacht, das für die Königin gegeben werden sollte. Doch jetzt erinnerte sie sich daran, daß ihre Stiefmutter darüber gesprochen hatte.
„Ein Glück“, hatte sie gesagt, „daß wir deine Hochzeit nicht für den 1. Juni angesetzt haben, sonst hätten wir sie wegen dieser Party doch glatt verschieben müssen.“
Nun war diese Hochzeit nicht verschoben worden, sondern fand überhaupt nicht statt, und das empfand Gracila als Glück.
Wenn sie nicht von zu Hause weggelaufen wäre, so würde sie sich jetzt gerade für die Trauung mit einem Mann anziehen, der nicht an ihr, sondern an ihrer Stiefmutter interessiert war. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.
Sie hatte sich nicht genug klar gemacht, was eine Heirat bedeutete. Jetzt allerdings wußte sie, daß man nur dann mit einem Menschen das Leben teilen konnte, wenn man ihn liebte.
Mrs. Hansell brachte das Tablett mit ihrem Frühstück und stellte es auf dem Nachttisch ab.
„Also, die Sache mit der Königin hat mich so aufgeregt, Mylady“, sagte sie, „daß ich völlig darauf vergessen habe. Heute hätten Sie ja heiraten sollen, Mylady.“
„Das wäre ein verregneter Hochzeitstag geworden, was?“ sagte Gracila und lächelte. „Nicht einmal durchs Dorf hätte ich in der offenen Kutsche fahren können, und wahrscheinlich wäre alles enttäuscht gewesen.“
„Tut es Ihnen nicht leid, daß Sie weggelaufen sind, Mylady?“
„Überhaupt nicht“, antwortete Gracila. „Zum Glück habe ich rechtzeitig herausgefunden, daß ich den Herzog nicht heiraten kann. Und Ihnen und Mitty werde ich mein Leben lang dankbar sein, daß Sie mich aufgenommen haben und sich so lieb um mich kümmern.“
„Aber irgendwann müssen Sie einmal heiraten, Mylady“, sagte Mrs. Hansell. „Ich habe erst gestern abend zu meinem Bruder gesagt, daß Sie hübscher sind denn je. Es muß an der Ruhe liegen, die Sie hier haben, und an der frischen Luft.“
„Es liegt vor allem daran“, entgegnete Gracila und lächelte, „daß ich hier sehr glücklich bin.“
Daß Gracila vor allem Lord Damiens wegen so glücklich war, konnte Mrs. Hansell natürlich nicht ahnen. Jede Minute, die Gracila nicht mit ihm zusammen sein konnte, kam ihr wie verlorene Zeit vor.
„Also, da es heute regnet“, sagte Mrs. Hansell in Gracilas Gedanken hinein, „dachte ich, ich könnte eigentlich einmachen. Sie haben neulich gesagt, daß Sie mir gern dabei helfen würden, Mylady. Gilt das immer noch?“
Gracila hatte sich tatsächlich erboten, Mrs. Hansell zur Hand zu gehen.
Sie hatte Mrs. Hansell eine Freude machen wollen und auch geglaubt, damit die langen Stunden des Tages vertreiben zu können, wenn sie das Haus nicht verlassen durfte, weil es ungewiß war, wo sich Lord Damien aufhielt.
Daß sie über den Tagesplan Lord Damiens genau informiert sein würde, hatte sie damals noch nicht wissen können.
Versprochen ist versprochen, dachte Gracila jetzt. Daran ist leider nichts zu ändern.
„Aber natürlich gilt das noch, Mrs. Hansell“, sagte sie daher. „Ich helfe Ihnen heute morgen beim Einmachen, und wenn es heute nachmittag immer noch regnet, dann kann ich ja in meinem Zimmer bleiben und mich ausruhen.“
„Also, das ist ein vernünftiger Gedanke“, sagte Mrs. Hansell. „Ich will nämlich mit Hetty zusammen die Wäscheschränke ausräumen, das habe
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