Blick in Den Abgrund -3-
als wir Kinder waren. Dieses Signal bedeutet: ›Schafft euren Hintern dort raus, weil ich in x Sekunden eine Handgranate reinwerfen werde.‹ Das X berechnet sich danach, wie das Signal modifiziert ist. Es gibt Variationen.«
Margot strauchelte und fing sich an Davys breitem Rücken ab. »Du willst sagen, dass ihr als Kinder mit Handgranaten gespielt habt?«
»Handgranaten sind doch was für Kinder«, witzelte Sean. »Große Bomben machen viel mehr Spaß.«
»Halt die Klappe, Sean«, knurrte Davy.
Es blieb keine Zeit mehr, diese faszinierende Reise in die Vergangenheit fortzusetzen. Im Rosengarten angekommen, wurde Margot mit einem Schwall geflüsterter Anweisungen überhäuft. Man führte sie zu einem Klappstuhl auf dem Rasen, neben einen gebückt wirkenden jungen Mann mit strähnigem dunklen Haar, der einen Smoking und eine unvorteilhafte Brille trug. Man hatte ihn ihr als Miles vorgestellt. Mikey kuschelte sich zufrieden in seine Armbeuge. Irgendjemand hatte sein lockiges Fell mit fröhlichen bunten Seidenbändern geschmückt.
Der Rasen wurde von üppig blühenden Rosenbeeten umsäumt. Ein Springbrunnen verteilte einen feinen Sprühnebel in der Luft. Miles setzte Mikey vor ihren Füßen ab, und Margot dankte ihm lächelnd, woraufhin er puterrot anlief und wie eine erschrockene Gazelle das Weite suchte. Ein Streichquartett begann kurz darauf zu spielen.
Davy schritt als Erster den Gang hinunter, an seinem Arm eine rätselhaft lächelnde Tamara. Sie waren ein ekelerregend schönes Paar, aber Margot gab sich Mühe, die Frau nicht dafür zu hassen. Zum einen war es nicht fair, zum anderen verdiente eine ebenfalls steckbrieflich gesuchte Kollegin ein Mindestmaß an Solidarität, ganz gleich, wie scharf sie aussah.
Sean folgte als Nächster, auf seinem Gesicht ein Grinsen, das dem drallen rothaarigen Mädchen an seinem Arm galt. Miles eskortierte mit ehrfürchtiger Miene eine schlanke Brünette in einem roten Kleid. Dahinter kam Raine in Begleitung eines auf düstere Weise gut aussehenden schwarzhaarigen Mannes, der besitzergreifend ihren Arm an sich drückte. Sein misstrauischer Blick flog über die anwesenden Gäste, als hielte er nach verkleideten Scharfschützen Ausschau. Ihnen folgten paarweise Brautjungfern, deren farbenprächtige Kleider in allen Schattierungen des Regenbogens erstrahlten. Als Letzte kamen Hand in Hand die Braut und der Bräutigam. Sie verströmten eine solche Glückseligkeit, dass Margot sofort ein Taschentuch herauskramte.
Es war eine wundervolle Trauung – zärtlich, schlicht und herzergreifend. Die Liebe und das Vertrauen in den Gesichtern des Brautpaars bewirkten, dass sie sich während der Zeremonie ganze Bäche verlaufender Wimperntusche wegtupfen musste, was ihr einen seltsamen Blick von Davy eintrug, als er am Schluss über den Korridor wieder auf sie zukam.
Wenige Augenblicke später beugte er sich über sie. »Was ist passiert? Ist alles in Ordnung?«
Sie schniefte in ihr Taschentuch und betupfte ihre Augen. »Schau mich nicht so entsetzt an«, sagte sie tränenerstickt. »Du hast mich hierher gebracht. Ich hatte nicht darum gebeten. Also schau selbst, wie du damit klarkommst.«
Seine Miene spiegelte Verwirrung wider. »Ich komme damit klar. Solange du nur nicht …«
»Ich bin sentimental, okay?«, fuhr sie ihn an. »Gewöhn dich dran! Ich weine bei Hochzeiten, Beerdigungen, Welpenfutterwerbung! Mach mich nicht verlegener, als ich es schon bin. Ich schwöre, es ist nicht ansteckend.«
Er lehnte sich nach unten und hauchte ihr einen Kuss in den Nacken. »Beruhige dich. Es ist Zeit für die Fotos.«
»Dann ab mit dir.« Sie scheuchte ihn fort. »Halte großen Abstand zu mir. Los, verschwinde! Ich will keine Kameras in meiner Nähe. Geh!«
Sie warf einen verstohlenen Blick in ihren Taschenspiegel. Die Reste der verschmierten Wimperntusche verliehen ihr ein leicht vulgäres Aussehen, aber wenn sie noch mehr daran herumrieb, würden ihre Augen rot und gereizt sein. Verflixt! Es würde ihr nie gelingen, wie eine Eiskönigin auszusehen. Sie ließ den Blick über die plaudernde Gästeschar schweifen und stellte sich vor, wie es wäre, wieder in der normalen Welt zu leben.
Falls sie das überhaupt noch könnte. Was ihr widerfahren war, hatte sie so dramatisch verändert, dass sie sich gebrandmarkt fühlte – ein bisschen, als hätte sie sich mit einer unheilbaren Krankheit infiziert.
Ihre gedrückte Stimmung verschlimmerte sich, während sie ihren Gedanken nachhing. Selbst
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