Blind Date mit Folgen - Roman
nur, wenn er gerade den Müll heruntertrug oder im Keller war und sich dafür nicht extra ausloggte. Er meinte doch tatsächlich, mit ein paar übereinandergelegten Browser-Seiten würde er sie in die Irre führen. Welch einfältige Verschleierungstaktik! Als ob sie so blöd wäre. Doch sie konnte sich auch so den Rest zusammenreimen und ihr wurde klar, dass er auf dieser hirnverbrannten Unterhaltungsplattform jemanden kennengelernt hatte. Und wie diese Person mit ihrem Mann flirtete! Wie Dolche waren die Worte von brennenden Kohlen und Griechischen Göttinnen in sie eingedrungen und natürlich war ihr erster Impuls gewesen, Alex auf der Stelle damit zu konfrontieren und ihm alles an den Kopf zu schleudern. Doch aus einem unerklärlichen Grunde hatte sie es nicht getan. Sie wollte abwarten. Als sie dann auf die ziemlich eindeutige Nachricht vom Hotelzimmer gestoßen war, sah sie glasklar.
Im Hotel Le Grand, München. Samstag um acht, Zimmer 215. Ich werde dort sein.
Secrets.
Deborah sah die Worte noch genau vor sich. Ihr war schwindlig geworden und sie hatte sich festhalten müssen, das Arbeitszimmer schwankte plötzlich wie ein Schiff auf stürmischer See. Um sich wieder zu fangen, bevor Alex aus dem Keller zurückkam, hatte sie sich zu tiefen Atemzügen gezwungen. Er würde ihr das nicht antun. Nicht Alex!
Alle, aber nicht ihr Ehemann.
Sie hatte die Nachricht geschluckt und geschwiegen. Ein Flirt im Chat war das eine, sie hatte während ihrer Ehe auch schon mit anderen herumgeschäkert, da konnte sie nichts Verwerfliches dabei finden. Flirten bedeutete nicht fremdgehen, sondern nur eine kleine Bestätigung fürs Ego, die sie Alex sogar gönnte. Nur waren ihre Flirts harmloser Natur gewesen, sie hatte sich nie hinter Alex’ Rücken mit Männern getroffen oder ihn je angelogen. Deshalb konnte sie nicht so leicht glauben, dass er die Person, die er nicht einmal in einer Bar – was ja noch irgendwie nachvollziehbar wäre –, sondern in der virtuellen Welt kennengelernt hatte, nun in Realität treffen wollte. Das würde er nicht ernsthaft tun, war sie da noch überzeugt gewesen. Was hatte sie zwischen den Chat-Zeilen übersehen, das ihn veranlasste, einen solch fatalen Schritt zu tun? Deborah schüttelte den Kopf. Vielleicht wollte er seinen Marktwert testen, die Grenzen ausloten?
Aber ihre Hoffnung zerbarst. Nachdem er ihr am Mittwochabend im ›Bocca di Bacco‹ von seiner Geschäftsreise nach München erzählte, war ihre Welt ein zweites Mal zusammengebrochen. Äußerlich war sie ruhig geblieben und hatte sich nichts anmerken lassen. Nur mit grösster Anstrengung war es ihr gelungen, ihr Händezittern unter Kontrolle zu bekommen und das Essen heil über die Bühne zu bringen. Eine Szene an einem öffentlichen Ort war das Letzte, das sie wollte, deshalb beabsichtigte sie das Gespräch in die eigenen vier Wände zu verschieben.
Auf dem Nachhauseweg überlegte sie es sich aber anders. Die Anwältin in ihr meldete sich zu Wort und bevor sie ihn zur Rede stellte oder eine folgeschwere Entscheidung traf, wollte sie es mit eigenen Augen sehen. Sie brauchte den Beweis, außer den Chat-Nachrichten hatte sie nichts in der Hand und bei einer Konfrontation könnte er es als spaßige Flirterei abtun oder gar abstreiten, dass es in München zu ›irgendetwas‹ gekommen wäre. Und: Sie musste es vor Augen haben, um es zu glauben, auch wenn sich der Anblick für immer in ihr Gedächtnis brennen würde. Vielleicht war es Naivität, Leichtsinn, keine Ahnung. Für jemanden wie sie, der alles im Leben schwarz-weiß sah und für den keine Graustufen existierten, würde eine Entscheidung demnach auf ein alles oder nichts hinauslaufen. Und um diese für sich und auch für Michel zu treffen, musste sie Alex in flagranti erwischen. Es überraschte sie selbst, wie kaltblütig und relativ emotionslos sie diese Dinge für sich entschied, aber die Not brachte anscheinend eine neue Seite von ihr zutage.
Alex hatte gestern erwähnt, sie solle ihn nicht vor Sonntagabend zurückerwarten. Also reservierte sie ein Zimmer in einem Hotel nahe dem Le Grand und buchte eine frühe Maschine zurück nach Berlin, damit sie am Sonntag vor ihm zu Hause war. Was sie genau tun würde, wenn sie die beiden im Zimmer überraschte, wusste sie nicht, aber … Ein Hupen riss Deborah aus ihren Gedanken. Erschrocken blickte sie in den Rückspiegel und sah den Fahrer im Wagen hinter ihr wild mit den Armen gestikulieren. Sie hatte nicht bemerkt, dass
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